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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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niemand sein, der Agnes interessierte. Ihr Blick glitt schnell über die Logen, wanderte dann enttäuscht weiter – außer den Königs entdeckte sie niemanden aus den großen Häusern der Stadt – hinunter zum Gedränge im Parkett. Auf den wenigenBankreihen saßen nur einige Männer und schwatzten, zwei Jungen mit großen Körben drängten sich davor, verkauften Zimtkugeln, Brezeln und – wenn man genau hinsah – kleine Fläschchen mit Branntwein. Eine im Theater streng verbotene, aber um so begehrtere Ware. Früher hatten sie auch Obst verkauft, aber nachdem das Publikum die Früchte bei schlechter Laune direkt und zielsicher auf die Bühne befördert hatte, war der Obstverkauf sommers wie winters nicht mehr erlaubt. Vor allem die Pflaumen hatten viele der kostbaren Kostüme ruiniert.
    «Schau mal, dort unten», Agnes schubste Anne eifrig mit dem Ellbogen, «dort, siehst du den jungen Mann in dem auffallend leuchtendblauen Rock? Nein, nicht dort, das sind die Söhne von Hudtwalcker und Voght, weiter rechts unter der, warte: eins, zwei, drei   … unter der vierten Loge. Siehst du ihn? Er kommt mir bekannt vor. Aber ich kann mich nicht erinnern, wer er ist.»
    Anne sah ihn nun, einen hübschen Mann mit braunem ungepudertem Haar und einer so grimmigen Miene, als erwarte er keine Komödie, sondern ein Trauerspiel.
    «Kennst du ihn?»
    Anne schüttelte den Kopf. Sie kannte noch nicht sehr viele Leute in Hamburg. Auch Claes kannte ihn nicht. Erst als Thomas sich vorbeugte, bekam Agnes eine Antwort.
    Das sei der junge Blank. Lukas. Seinem Vater habe die Kattundruckerei hinter dem Drillhaus gehört. «Er ging vor vier oder fünf Jahren bankrott, und dann ist er auch gleich gestorben. Geld für eine Lehre oder ein Studium war natürlich auch keines mehr da, und jetzt arbeitet Lukas als Drucker bei Schwarzbach.»
    «Schwarzbach? Dann muß er ein guter Drucker sein.» Claes hatte die letzten Sätze gehört und sah nun auch zuLukas Blank hinunter. Gerade verschwand dieser mit einem hageren Mann in dem Gang hinter den Logen. Dessen an beiden Ärmeln geflickter Rock verriet, daß er sich wohl nur einen Platz auf der Galerie leisten konnte. Wahrscheinlich wollte Lukas ihn dorthin begleiten.
    «Ein guter Drucker? Das mag sein.» Thomas grinste breit. «Obwohl mich das wundern würde. Er ist ein ganz freundlicher Kerl, aber denkt immer noch, daß er der Sohn eines reichen Mannes sei, jedenfalls gibt er für einen Drucker eindeutig zuviel Geld im Billardzimmer und am Spieltisch aus. Und wenn man bedenkt, wie zügig er stets sein Branntweinglas leert – bist du sicher, daß seine Drucke immer akkurat sind?»
    Doch bevor Claes antworten konnte, begann das Orchester zu spielen, und auch wenn die meisten im Publikum, ganz besonders im Parkett, ihr Plaudern deshalb nicht gleich einstellten, so lehnten sich die Herrmanns’, die Matthews und auch die Königs in ihren Stühlen zurück und lauschten der Musik. In Ermangelung einer passenden Anfangssymphonie gab man tatsächlich eine Telemannsche Ouvertüren-Suite, die
Burlesque de Quixotte
. Und noch bevor das sechste der kurzen Stücke der Suite,
Le Galope de Rosinante
, verklang, war Claes Herrmanns zum erstenmal eingeschlafen. Anders als Agnes Matthews neuer Mops schnarchte er dabei allerdings nicht im mindesten.
     
    Es wäre übertrieben zu behaupten, Claes Herrmanns habe die ganze Komödie verschlafen. In der Pause nach dem dritten Aufzug sorgte er äußerst munter für die Lieferung des Korbes, mit dem Brooks in der Kutsche vor dem Hauptportal wartete. Der milde rote Bordeaux und die Taubenpastete mit Maronen, reichlich getrüffelt, mit gerösteten Mandelschnitzen bedeckt und mit Lorbeer, Zitrone, Pfeffer und Muskat erfrischend gewürzt, entschädigte ihn vollständig für die Enttäuschung über das Gespenst. Es schlug in dieser Komödie zwar fleißig eine dumpf tönende Trommel, aber das hätte nicht einmal einen Sperling erschreckt. Außerdem war das Gespenst gar keines, sondern nur ein ältlicher Verehrer, der einer Baronin mit der Trommelei aus einer geheimen Kammer weismachen wollte, daß da der Geist ihres verstorbenen Gatten gegen eine neue Ehe protestierte.
    Dabei, so glaubte Claes verstanden zu haben, hätte der Verstorbene nichts gegen eine Ehe mit dem Trommler einzuwenden gehabt, sondern nur mit dessen Rivalen, einem höfisch gestelzten und äußerst geldgierigen jungen Herrn. Es konnte auch andersherum sein, das Knäuel der Liebhaber um die liebreizende, ehrbare

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