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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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und wohlhabende Heldin schien ihm recht verworren, weil auch noch die Haushofmeisterin ihre Intrigen spann – kurz und gut, es ging um Geld, Treue, echte und betrügerische Liebe, also um Dinge, die es im echten Leben zwar gab, aber ganz gewiß nicht auf diese Weise. Und daß eine liebende Frau ihren Gatten nur wegen eines weißen Bartes nicht wiedererkannte, erschien ihm völlig absurd.
    Anne und Agnes amüsierten sich prächtig. Nun gut, Frauen hatten für dergleichen etwas übrig, aber daß auch Thomas, immerhin ein Kaufmann mit einem klugen Kopf, den Abend sichtlich genoß, verstand Claes nicht. Von der hinteren Reihe aus war die Sicht auf die Bühne nicht sehr gut, vielleicht war das eine Erklärung. Aber vielleicht neigte er selbst tatsächlich ein wenig zu hanseatischer Steife, wie Augusta ihm einst überdeutlich zu verstehen gegeben hatte. Und vielleicht, der Gedanke machte ihn für einen Moment hellwach, war er schon zu alt für heitere Nichtigkeiten.
    Die Komödie ging nun dem Ende entgegen, was gut war, denn im Parkett wurde es unruhig. Man verlangte nach dem Ballett. Der Baron, doch nicht auf dem Schlachtfeld für die Ehre seines Vaterlands gefallen, sondern heimlich aufs Schloß zurückgekehrt, saß nun in der Verkleidung eines alten Wahrsagers im Salon seiner Gattin und versuchte herauszubekommen, ob sie ihm immer noch treu war. Die Baronin, von vornehmer Blässe und zunehmend beunruhigt, stand dem vermeintlichen alten Weisen freimütig Rede und Antwort. Claes hatte nun ausgeschlafen und beugte sich ein wenig vor, um das Spiel auf der Bühne besser sehen zu können. Die Baronin – tatsächlich, flüsterte Anne ihm zu, die berühmte Madame Hensel – war wirklich beeindruckend. Ihre Nervosität wirkte so überzeugend, als zittere sie tatsächlich. Dabei war es an dem verkleideten Baron, um sein Glück zu zittern, die Dame seines Herzens hatte nur ehrliche Worte der Treue zu sprechen.
    «Gnädige Frau», sagte der Baron gerade mit Grabesstimme und strich gedankenvoll über seinen falschen Wahrsagerbart, «in allem, was Ihr sagt, finde ich nichts, was den Baron im Grabe stören sollte.»
    «Äh», sagte die Baronin. Und noch einmal: «Äh.»
    «Nichts!», wiederholte der Alte lauter, «was den Baron im Grabe stören sollte!!!»
    Die Baronin hob die Hände beschwörend wie zum Gebet. «Ach», rief sie dann und flatterte wie ein aufgeschreckter Vogel von der Mitte der Bühne ganz nah an die Kulissen der linken Seite. «Ach, wenn er wüßte, wie mein Herz beschaffen ist, er würde mit der Hochachtung und Liebe, die ich für ihn habe und ewig haben werde, vollkommen zufrieden sein. Es hat dies aber auch niemals ein Mann besser verdient als er. Er war   … Er war   …»
    Wieder stockte sie, und selbst durch die dicke weiße Schminke war zu erkennen, daß ihre Blässe zu hektischer Röte wechselte. Claes glaubte sogar, ihre Lippen zittern zu sehen, und beschloß, beim nächsten Theaterbesuch unbedingt sein kleines Teleskop mitzunehmen.
    «Was war er denn nun?» rief eine kecke Stimme aus dem Parkett, ein paar Lacher folgten, und die Baronin, genauer gesagt, Madame Hensel, schien einer Ohnmacht nahe.
    «Er war   …», sie wankte, huschte mit seltsam verrenktem Hals quer über die Bühne zur rechten Seite. «Er war   … die Tugend», rief sie dann, «die Gottesfurcht, die Redlichkeit selbst, seine Güte, Leutseligkeit, nun, Leutseligkeit, sagte ich. Wie? Ja   … haben niemals abgenommen. Er liebte mich ungemein treu und zärtlich. Mein Schmerz erlaubt mir nicht, ein mehreres zu sagen   …»
    Im Textbuch stand, daß der Baron, ergriffen von dieser Offenbarung treuer Liebe, nun sagen sollte: «Gnädige Frau, das ist genug, Ihr könnt jetzo abtreten, denn ich muß allein sein.»
    Aber das war nicht mehr nötig. Madame Hensel, nun gar nicht mehr die beherrschte Baronin, hatte die Bühne schon verlassen, und zwar äußerst rasch mit flatternden Händen und einem großen Sprung in die Kulissengasse.
    Der schrille Schrei, der gleich darauf von dort durch das Theater hallte, sei durch Mark und Bein gegangen, sagten später alle, die an diesem Abend im Theater gewesen waren. Der zweite allerdings, der gleich darauffolgte und doppelt so schrill und dreifach so lang gewesen war, hätte die Nebelhörner bei den Sänden in der Elbmündung vor Scham verstummen lassen.
    Plötzlich wollten alle, selbst jene, die die Komödie nicht besonders erbaulich gefunden hatten, wissen, wie sie zuEnde gehen sollte. Aber auf der

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