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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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würde die Muster entwerfen, zarte Muster, wie sie sie liebte. Auch die dunkelsamtenen Stühle und Gardinen mußten unbedingt erneuert werden. Blaß rosenfarbene vielleicht? Bader hatte doch erst kürzlich so eine neue Beize entwickelt. Und gewiß würde alles sehr viel repräsentativer, wenn er einige Wände herausbrechen und so die alten Räume vergrößern ließ. Genauso, dachte er jetzt, würde er es machen, und begann sich schon sehr viel besser zu fühlen.
    Er trat in den Hof, die kühle, morgenfeuchte Luft war wie ein erfrischendes Bad. Es war noch still. In den Sommermonaten herrschte um diese Zeit schon Hochbetrieb, die Arbeit in den Drucksälen begann immer mit Sonnenaufgang. Mit dem fortschreitenden Herbst wurde auch die Arbeitszeit kürzer; einem Schuster oder Korbflechter mochten Tran- oder Unschlittlichter reichen, aber das akkurate Drucken erforderte gutes Licht. Er ging über den Hof und betrat das langgestreckte Haupthaus. Der Anblick der vielen Tische in den Sälen im ersten Stock, die Regale voller Druckstöcke und der vertraute Geruch nach Beizen und Kohlefeuer gab ihm seine ruhige Selbstgewißheit zurück. Die Wärme der großen Kachelöfen, die dafür sorgten, daß die bedruckten Kattunbahnen schnell trockneten, umfing ihn wie ein dickes Tuch. Behutsam prüfte er einige Bahnen, die, am vorigen Nachmittag frisch mit Beize bedruckt, an unter der Decke befestigten Stangen hingen. Bader hatte den neuen Farbton gestern probiert, aber natürlich war auf den Bahnen noch nichts als die Spuren der fast farblosen, nur hier und da ein wenig gelblich schimmernden Beize zu sehen. Die Beizen wurden von den meisten Druckern und auch von ihren Schöpfern, den Coloristen, «Farbe» genannt. Tatsächlich enthielten die dicklichen Massen nur die Bestandteile der Farbe, je nach Rezept eine andere, oder eine der vielen möglichen Farbabstufungen, die erst später in der Krappbrühe sichtbar wurden. Beize ohne Krapp blieb farblos, so wie das Krappbad ohne Beize keine Farben auf dem Stoff entstehen ließ. So wie eine Frau, dachte Schwarzbach, ohne einen Gatten nicht erblühen kann.
    Plötzlich fand er es dumm, untätig herumzulaufen und von neuen Gardinen und Polstern zu träumen, anstatt sich endlich an die Arbeit im Kontor zu machen. Entschlossenund ohne den anderen frischen Drucken auch nur einen Blick zu gönnen, durchschritt er zwei weitere Säle. Im Vorbeigehen prüfte er flüchtig den Riegel an der Tür zum Laboratorium der Coloristen. Die waren ja die reinsten Alchimisten, und die oft ätzenden Substanzen für ihre Beizen waren nicht nur streng geheim, sondern für unerfahrene Hände auch ungemein gefahrvoll. Er betrat das Labor nie. Nicht nur, weil die Coloristen das äußerst störend und indiskret gefunden hätten. Die Mittel, aus denen die Farben entstanden, waren ihm unheimlich. Da wurde mit Arsenik, Pottasche, Alaun, Bleizucker, Sodasalz und Weinessig Rot gezaubert. Wollte man es dunkler machen, wurde es mit Eisenbrühe, dem Stoff für reines Schwarz, vermischt. Überhaupt diese Eisenbrühe. Die Herstellung war ein ungeheuer zeitraubendes Geschäft. Eisenfeilspäne mußten so lange in Wasser bleiben und immer wieder gerührt werden, bis sie starken Rost angesetzt hatten, dann wurde Heringslake zugesetzt, oder noch besser Urin, und wieder so lange gerührt und Lake zugesetzt, bis Rost und Eisen sich völlig aufgelöst hatten. Und wollte man zum Beispiel dunkles Violett haben, setzte man der Eisenbrühe cyprisches Vitriol zu. Schwarzbach erschienen all diese Substanzen wie Höllenpulver. Die Farben zum Ergänzen der zuvor aufgedruckten Muster waren ihm sehr viel lieber. Für ein leuchtendes Gelb brauchte man gestoßene Kreuzbeeren, Campechne-Holz aus Neu-Spanien hinter dem karibischen Meer, Schalen von Pomeranzen und Granatäpfeln, gutes Regenwasser und Alaun. Teuer, sehr teuer, aber doch in der Natur gewachsen und sanft. Natürlich verblaßten diese Farben schneller, aber sie waren ihm doch sehr viel angenehmer, was er seinen Kunden allerdings niemals gestand.
    Er stieg die Treppe hinab, nickte kurz den beiden Männernzu, die schon die Feuer in den großen gemauerten Öfen schürten, damit die Beize in den bauchigen Becken, die in der oberen Etage direkt darüber gemauert waren, die richtige Temperatur hatte, wenn die Färber mit der Arbeit begannen. Er war sehr stolz auf seine guten Öfen. Aus ihnen entkam kein Funke. Erst im letzten Monat waren am Dovenfleet neun Häuser abgebrannt, zwei Menschen waren

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