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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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darin gestorben, nur weil sie nicht auf das Feuer geachtet hatten. Das konnte in seinem Haus nicht geschehen. Seit er angeordnet hatte, daß der Nachtwächter die Ofentüren jede Stunde prüfte, machte er sich darüber keine Sorgen mehr.
    Die Tür zum Stall stand offen, und er hörte das unruhige Schnauben und Scharren der Tiere. Er hörte auch die Stimme des Wächters beruhigend murmeln und erinnerte sich, daß der neue Ochse, ein junges Tier, das erst vor einer Woche von einem Hof in Ottensen gebracht worden war, noch nicht im Tritt ging. Er glaubte noch, aufbegehren zu können, und wollte sich einfach nicht daran gewöhnen, Stunde um Stunde mit verbundenen Augen im Kreis zu gehen, um seine Kraft an das große Räderwerk für die Stoffpressen, -mangeln und Hebewerke weiterzugeben. Besonders wichtig war die Kraft der Ochsen für die Glättmaschine. Der fertig bedruckte und auf der linken Seite nachgebleichte Kattun wurde nämlich noch mit einem Glanz versehen, für den gerade der Hamburger berühmt war. Dazu wurden die Bahnen mit einer dünnen Stärkelösung appretiert, wieder getrocknet und dann unter großem Druck mit polierten Feuer- oder Achatsteinen in der Glättmaschine Zoll für Zoll gepreßt, bis die Oberfläche glänzte, als sei sie lackiert. Dann erst, nach vielen Wochen Arbeit, waren aus dem rohen Kattun die kostbaren Zitz-Kattune geworden.
    Schwarzbach zögerte, doch dann eilte er weiter zu seinem Kontor, jetzt war nicht die Zeit, sich um unruhige Ochsen zu kümmern. Das konnte der Stallmeister tun, der wie die anderen Arbeiter gleich eintreffen mußte. Er fingerte in der Rocktasche nach seiner Uhr und klappte sie auf. Die Zeiger standen auf Viertel nach sechs. Eine gute Zeit, um mit der Arbeit zu beginnen.
    Er war immer fasziniert von der Kunst, eine Uhr so klein und nur halb so flach wie ein Gänseei zu machen, und auch wenn er es niemals zugegeben hätte, er liebte seine Uhr nicht zuletzt um ihrer Schönheit willen. Ihr silberner Deckel war erlesen ziseliert und mit fünf winzigen goldenen Blättern um eine ebensolche Blüte eingelegt, in einem halbrunden Ausschnitt im weiß emaillierten Ziffernblatt mit seinen vergoldeten Zeigern zeigten Sonne oder Mond Tag oder Nacht an. Die Uhr ließ in ihrer Eleganz fast vergessen, daß die Flüchtigkeit der Zeit kein Vergnügen, sondern sehr wohl beunruhigend war für einen, der die Fünfzig gerade überschritten hatte.
    Er sprang fast die Stufen zum Kontor hinauf und steckte den Schlüssel in das Schloß der Kontortür. Aber das war überflüssig. Die Tür war nicht verschlossen, und obwohl er sich das nicht erklären konnte, weil ihm das Abschließen am Abend so selbstverständlich wie das Atmen war, lächelte er nur. Er war in den letzten Wochen tatsächlich nicht immer ganz bei der Sache. Das war leichtsinnig, aber gewiß eine läßliche Sünde. Die ewige Abschließerei erschien ihm manchmal auch recht übertrieben. Selbst wenn es jemandem gelang, in das Kontor einzudringen: Seine Kontobücher gingen zwar niemanden etwas an, aber sie interessierten auch niemanden. Die wirklich wertvollen Papiere, wie die Musterbücher und Wechsel, lagen wohlverwahrt in der Truhe mit den beiden Schlössern.
    In seinem Kontor war es noch dämmerig. Aber hinter den breiten Fenstern nach Osten verfärbte sich schon der Himmel. Die kupferne Spitze von St.   Petri ragte mit sanftem Schimmer hinter den roten Dächern der hochgiebeligen Häuser auf. Es würde wieder ein schöner Tag werden. Gut, dachte er, um so schneller trocknen die Bahnen. Es war nicht mehr viel Zeit. Wenn erst der Frost kam und die Alster mit Eis bedeckte, würde die lange Winterpause beginnen, und bis dahin waren noch große Aufträge zu erledigen. Der letzte Winter war der längste und strengste seit Menschengedenken gewesen, nicht nur Alster und Bille, auch die Elbe war bis weit ins Preußische zugefroren gewesen, die Schiffahrt lag monatelang brach, auf dem Land waren viele erfroren, Mensch und Vieh. Für eine Kattundruckerei, die ohne fließendes Wasser nicht arbeiten kann, war so ein Winter eine doppelte Katastrophe.
    Nun, er wollte sich jetzt an die Arbeit machen und später, am besten gegen Mittag, Freda rufen lassen. Sie war eine erwachsene, eine vernünftige Frau, mit der man auch vernünftig und ohne modische Schnörkeleien reden konnte. Er verstand nicht, daß seine Finger bebten – ganz wenig nur, aber es ließ sich nicht leugnen   –, als er die beiden dreiarmigen Leuchter mit der Kerze aus

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