Lorettas letzter Vorhang
sondern sich reihum in den Salons aller beteiligten Damen zu treffen, fand ebenso begeisterte Zustimmung. Agnes’ Widerspruch und Beteuerung, das sei ihr wirklich keine Last, sondern ein Vergnügen, wurde als höflicher Einwand mißverstanden und ebenso höflich abgelehnt. Was Agnes wirklich enttäuschte, denn es gab nur wenig, was ihr in diesen Wochen lieber war, als ihren wunderbaren, neugestalteten Salon vorzuführen.
Als schließlich die Sänften und Kutschen herbeigerufen wurden, um die Damen nach Hause zu bringen, herrschte eine Stimmung wie vor einer großen Reise. Selbst Carlino, der Mops, erhob sich von seinem Lieblingsplatz auf einem Seidenkissen am Kachelofen und mischte sich mit heiserem Kläffen und freudig wackelndem Hinterteil unter die Damen, die sich in der Diele in ihre Schultertücher und Umhänge wickelten und voneinander verabschiedeten.
Madame Bilsen, die bis zu diesem Nachmittag nur selten auf die Idee gekommen war, anderes zu lesen als die Bibel und die kleinen Nachrichten auf den letzten Seiten des
Hamburgischen Correspondenten
, ließ auf ihrem Heimweg bei der Bodeschen Buchdruckerei und -handlung halten, um das Buch von diesem seltsamen Schweizer zu bestellen. Daß er, wie Henny Bauer betont hatte, mit Monsieur Voltaire, diesem unchristlichen Freidenker, im Streit lag, erschien ihr eine gute Empfehlung.
Anne wäre gerne zu Fuß zum Neuen Wandrahm zurückgegangen. Die Wege in der Stadt waren wieder halbwegs trocken, und selbst wenn es ihre Schuhe ruinieren würde, sie sehnte sich nach frischer Luft. Seit das Wetter ihr nicht mehr erlaubte, ganze Tage in ihrem Garten zu verbringen, war ihr jede Gelegenheit, sich im Freien zu bewegen, kostbar. Madame van Wittens Aufforderung, in ihrer Kutsche mitzufahren, konnte sie allerdings nicht ablehnen.
Madame van Witten mochte Claes Herrmanns’ Frau, und sie mochte auch die jüngste Tochter der Bauers. Ein kluges Mädchen, das nicht nur Ziele habe, sondern sie auch verfolge, erklärte sie Anne, gemütlich in die Samtpolster ihrer kleinen Stadtkutsche zurückgelehnt und endlich von ihren drückenden Schuhen befreit.
«Sie hat wie Ihr eine große Vorliebe für das Theater, was ihre Eltern natürlich gar nicht gutheißen. Gewiß darf man die Zügel nicht zu lang lassen, aber ich glaube nicht, daß es von Vorteil ist, jungen Frauen jede Eigenwilligkeit zu verbieten. Das macht nur dickes Blut.»
Vielleicht könne sich Madame Herrmanns in dieser Sache für das Mädchen verwenden? Sie vielleicht sogar einmal in ihre Loge einladen? Das könnten die Eltern kaum verbieten, Claes Herrmanns treibe schließlich rege Geschäfte mit Bauer. Madame van Witten war wie immer gut informiert.
Aber bevor Anne ein Grund einfiel, sie nach Lukas Blank zu fragen, dessen Vater vor seinem Bankrott und plötzlichen Tode Madame van Witten bestimmt bekannt gewesen war, plauderte die schon munter weiter.
«Magdalena Bellham ist eine gute Seele», sagte sie und rieb sich ungeniert und wohlig seufzend ihre schmerzenden Knöchel. «Ich erinnere mich, wie sie als Mädchen war. Blaß und schüchtern, das einzige Kind ihrer Eltern, was ja schon immer ein Unglück ist. Aber sie hatte zudem ein Gebrechen, was ihre Chancen auf eine gute Heirat recht gering machte, zumal ihr Erbe nicht dazu angetan war, das wirklich auszugleichen. In solchen Fällen bleibt ja oft nur, ein Mädchen ins Ausland zu verheiraten, wo es zunächst sowieso niemand versteht.»
«Sie scheint heute doch sehr gesund zu sein», erwiderte Anne, die von Agnes gehört hatte, daß es zu Magdalenas Vorlieben gehöre, am frühen Morgen vor den Wällen auszureiten.
«Oh, das war sie auch früher. Ihr Gebrechen war anderer Art. Um es ohne Umschweife zu sagen, sie stotterte, als wäre sie mindestens dreimal aus der Wiege direkt auf den Kopf gefallen. Es ist mir eine Freude, sie nun mit so klarer Stimme zu hören. Agnes sagt, ein Gesangslehrer habe ihr dazu verholfen, aber ich sage: So ist das mit der Ehe», sie lächelte brav, «sie mag manche Last mit sich bringen, aber man erlebt immer wieder, daß sie auch manches Gebrechen plötzlich verschwinden läßt. Obwohl von Plötzlichkeit hier keine Rede sein kann, die Hochzeit muß an die acht oder gar zehn Jahre zurückliegen.»
«Nun ja.» Anne nickte. «Das mag sein.» Sie dachte an Sophie, ihre früher so muntere Stieftochter, die vor zwei Jahren den Mann ihrer Sehnsüchte geheiratet hatte, nun mit ihm in Lissabon lebte und heitere, nichtssagende Briefe schrieb,
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