Lorettas letzter Vorhang
sondern aus dem Theaterhof. Es war natürlich dumm von ihm gewesen, nicht zu bemerken, daß ihm von dem Moment an, da er am Abend die Kattundruckerei verließ, ein dünner grauer Mann wie ein Schatten folgte. Aber vielleicht sprach das auch nur für die Meisterschaft im heimlichen Verfolgen und Beobachten, das Wagner mit seinen Leuten so lange geübt hatte, bis er selbst sie kaum mehr bemerkte.
Kurz und gut, just war es Lukas gelungen, die hintere Tür des Theaters aufzubrechen, da legte sich eine harte Hand auf seine Schulter, eine andere drehte ihm rüde den Arm um, und ehe er sich’s versah, lag er im Schmutz und fühlte, wie ihm die Hände hinter dem Rücken und dann die Füße gebunden wurden. Blitzschnell wurde er in einen Wagen bugsiert, mehr eine hölzerne Kiste auf Rädern als eine Kutsche, und in die Fronerei am Berg nahe St. Petri gebracht. Die beiden finsteren Gesichter, die ihm in der Dunkelheit wie stumme Schemen gegenübersaßen, starrten grimmig an ihm vorbei, und er verstand gleich, daß es keinen Sinn hatte, Fragen zu stellen. Dumme Fragen, denn wer bei einem Einbruch erwischt wurde, kam immer ins Loch, egal, ob am Nachmittag der Weddemeister schon einmal bei ihm gewesen war oder nicht. Er wußte auch, daß die beiden ihm nicht glauben würden, daß er zum Ensemble gehörte und nur etwas Wichtiges holen wollte, das er in der Garderobe vergessen hatte.
Der Weddemeister saß in einer kleinen Stube der Fronerei und sah nicht weniger grimmig aus als seine beiden Gehilfen. Aber immerhin ließ er ihm die Fesseln abnehmen und füllte ihm einen Becher mit Wasser.
Lukas fühlte sich wie in einem schlechten Traum. Als er sich auf dieses Abenteuer eingelassen hatte, hatte er eben nur das Abenteuer gesehen und von der Freiheit geträumt, die er in Zukunft haben würde. Natürlich hatte er gewußt, daß er ein Verbrechen beging, aber er würde niemandem wirklich schaden, und er hatte sich niemals vorgestellt, daß ihn die schwere Strafe, die darauf stand, tatsächlich treffen könnte. Aber er hatte sich noch immer aus jeder Kalamität herausreden können. Warum nicht auch diesmal?
Der Wächter, der ihn im Theaterhof gefesselt hatte, flüsterte dem Weddemeister etwas zu, und der kurze Moment gab Lukas Kraft.
«Es ist ein schrecklicher Irrtum», begann er eifrig und hoffte, wenigstens ein bißchen empört zu klingen. «Ein ganz falscher Eindruck. Ja, ich habe die Tür aufgebrochen, ich wollte in das Theater, was mir nicht zustand, aber …» Er schluckte schwer und fuhr sich tragisch seufzend mit der Hand über die Augen. «Versteht Ihr nicht? Wir haben doch heute vormittag darüber gesprochen, ich wollte noch einmal den Ort ihrer Größe betreten. Ja, das wollte ich. Das mußte ich. Zu ihrem Andenken ein Gebet sprechen, auf der Bühne, die sie groß und noch anbetungswürdiger gemacht hätte, wenn …»
«Blank, Ihr redet Unsinn. Gebete könnt Ihr an ihrem Grab sprechen oder in der Kirche. Und Ihr wißt genau, warum Ihr hier seid, das ist ganz gewiß nicht der Einbruch, diese Nichtigkeit gegen das, was Ihr Mittwochabend getan habt. Weiß der Himmel, warum Ihr nun auch noch einbrechenmußtet, aber Ihr werdet es mir gleich sagen. Habt Ihr irgend etwas Verräterisches in den Kulissen vergessen, als Ihr Mademoiselle Grelot getötet habt? Wolltet Ihr das jetzt holen? So spät noch? Nun redet endlich, aber fangt nicht wieder mit ‹auf ihren Spuren wandeln› und solcherlei Unsinn an. Das glaubt Euch nun kein Mensch mehr. Selbst wenn es wahr wäre, würde es Euch auch nicht helfen.»
Die beiden Unschlittkerzen in dem Zinnleuchter auf dem groben Tisch gaben nur trübes Licht, aber daß Lukas’ Gesicht plötzlich schneeweiß wurde, war dennoch deutlich zu erkennen.
«Aber wie könnt Ihr glauben …»
«Das habt Ihr heute schon ein paarmal gesagt.» Wagner war all seine Freundlichkeit abhanden gekommen. «Es geht hier nicht mehr um Glauben. Ihr seid ganz in ihrer Nähe gesehen worden, kurz bevor Mademoiselle Grelot getötet wurde, und nun erzählt nicht wieder, Ihr wäret die ganze Zeit auf der Galerie gewesen, Eure Freunde haben das nicht bestätigt. Wohl seid Ihr dort gewesen, aber nach der Pause wart Ihr für einige Zeit verschwunden, jeder dachte, Ihr wäret bei einem der anderen, aber wenn man alles zusammennimmt, gibt es eine Zeitspanne, und zwar ganz genau die passende, in der Euch niemand gesehen hat. Jemand anders allerdings hat Euch um diese Zeit in den Kulissen gesehen, und zwar in der
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