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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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hoffe, Ihr habt nicht zu lange gewartet.»
    Alle waren erleichtert und versicherten, es mache gar nichts aus, schließlich sei heute Sonntag, und so eine kleine halbe Stunde sei wirklich nicht der Rede wert. Aber es sei doch gut, daß sie nun hier sei, und ob sie vielleicht ihre nassen Schuhe gegen ein Paar von Annes tauschen wolle?
    Endlich konnte Wagner beginnen. Er berichtete, Lukas Blank habe gestern abend gestanden, er sei tatsächlich kurz vor Lorettas Tod in den Kulissen gewesen, jedoch nur, um sich bei Mademoiselle Grelot für einen unsinnigen Streit, den er vor der Vorstellung mit ihr gehabt hätte, zu entschuldigen. Er sei nur einige Augenblicke dort geblieben, denn er habe gleich gemerkt, daß sie mit dem Einhelfen beschäftigt war und nicht gestört werden durfte. Deshalb, so behaupte er, habe er sich gleich wieder davongemacht. Das habe ihm natürlich niemand geglaubt, und heute morgen, in aller Frühe, als Wagner ihn zum zweiten Mal verhörte, habe er schon eine neue Geschichte parat gehabt.
    «Eine unglaubliche Geschichte», sagte Wagner und vergaß darüber ganz, von dem Aniskuchen abzubeißen, den er schon seit geraumer Zeit in den Fingern hielt, «wirklich unglaublich. Obwohl, wenn man bedenkt, vielleicht auch nicht. Also: Er hat gesagt, Mademoiselle Grelot habe ihn dazu verführt, seinem Dienstherrn, dem Kattundruckereibesitzer Schwarzbach, ein Buch mit Kattunmustern zu stehlen. Er behauptet, es am Mittwoch, bald nachdem Schwarzbach sein Kontor verlassen habe, aus der Truhe im Kontor gestohlen zu haben. Sonst habe er nichts genommen, das schwört er, man könne ja auch seine Kammer durchsuchen. Und das zeige doch, daß er es nur für seine Geliebte getan habe. Hätte er für sich stehlen wollen, was ihm natürlich niemals eingefallen wäre, hätte er doch auch die Münzen mitgenommen. DasSchloß der Truhe sei defekt, das wüßten alle. Und überhaupt, sagt er, sei eigentlich Schwarzbach selbst schuld an alledem, weil er zu geizig wäre, den Schlosser zu holen. Blank macht sich das Leben offenbar sehr einfach.»
    Rosina nickte grimmig. Sie dachte daran, daß die Leute auch immer sagten, die Komödiantinnen seien selbst schuld, wenn man sie für Huren hielte. Denn warum mußten sie sich auch auf der Bühne zur Schau stellen? Erst dann begriff sie richtig, was Wagner da gerade erzählt hatte.
    «Ein Musterbuch, sagt Ihr? Hat er das gesagt, ein Musterbuch aus Schwarzbachs Truhe?»
    «Das hat er gesagt. Natürlich bin ich gleich zu Schwarzbach gegangen, noch vor dem Kirchgang, er war nicht sehr erfreut. Aber dann hat er zugegeben, daß das Musterbuch verschwunden ist. Ich sage zugegeben, denn es wäre ja seine Pflicht gewesen, den Diebstahl gleich der Wedde zu melden. Er hat es schon am Donnerstagmorgen bemerkt.»
    «Und warum hat er es nicht gemeldet?» fragte Claes. «Das macht doch keinen Sinn.»
    Wagner, der endlich ein Stückchen seines zerkrümelten Kuchens in den Mund geschoben hatte, schluckte eilig die Brocken hinunter. «Er hatte seine Gründe. Ich mußte sehr eindringlich fragen, bevor ich die Wahrheit hörte. Wenn es die Wahrheit ist. Mir erscheint das alles recht dubios, und wer weiß, vielleicht haben sie gemeinsame Sache gemacht, was allerdings noch weniger Sinn ergibt.»
    «Aber was hat er denn nun gesagt?» Anne saß auf der Stuhlkante und fand Wagner in diesem Augenblick wieder unerträglich langsam und geschwätzig.
    Schwarzbach habe gleich den jungen Blank im Verdacht gehabt. Der habe häufig Schulden, lebe über seine Verhältnisse. «Und außerdem – für dieses Bekenntnis mußteich ihm erst sehr deutlich machen, daß es gegen das Gesetz sei, einen Dieb zu schützen   –, außerdem habe er, Schwarzbach, dem jungen Blank, der ja der Sohn eines verstorbenen Manufakteurs sei, nur eben ein wenig leichtfertig und vom Wege abgekommen, er habe ihm und vor allem seiner Schwester, einer hochanständigen und äußerst talentierten jungen Dame, die Gelegenheit geben wollen, den Schaden wiedergutzumachen. Er hat Freda Blank aufgefordert, ihren Bruder dazu zu bringen, das Buch zurückzugeben.»
    «Das verstehe ich nicht», sagte Anne. «Wieso war er so sicher, daß der Drucker das Buch genommen hatte? Und warum hat er ihn nicht selbst dazu aufgefordert, warum der Umweg über seine Schwester? Dachte er, sie habe auch etwas mit dem Diebstahl zu tun?»
    «Das wies er weit von sich. Er hat ständig beteuert, wie ehrenwert Mademoiselle Blank ist.»
    Claes hätte das gerne bestätigt. Er hätte

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