Lorettas letzter Vorhang
auch gerne bestätigt, wie kostbar das Musterbuch aussah. Das konnte er natürlich nicht, und er sorgte sich, ob Schwarzbach nun noch in der Lage sein würde, die Stoffe für Anne zu drucken. Der Gedanke, die Muster in einer anderen Druckerei noch einmal auszuwählen, machte ihm nicht gerade Freude. Aber Fredas Beratung und sicherer Geschmack hatten ihm geholfen, bei einer zweiten Wahl würde er immerhin schneller entscheiden können.
«Das ist alles schön und gut», sagte Augusta, die bisher schweigend zugehört hatte. «Aber was hat Blank gesagt, warum er in den Kulissen gewesen ist? Das ist doch im Augenblick am wichtigsten. Hat er ihr da das Buch gebracht? Das wäre doch recht ungünstig gewesen.»
«Nein, Madame Kjellerup, er hat ihr das Buch schon vorher gegeben, bei der Begegnung im Theaterhof. Sosagt er jedenfalls. Bald darauf ist er in die Vorstellung gegangen, und da, so sagt er, hat er all die ehrenwerten Menschen in den Logen gesehen, die braven Bürger, so drückte er sich aus, und habe sich seiner guten Herkunft erinnert. Seines bedauernswerten Vaters, den er so verehrt habe. Ja. Und da hat er erkannt, wie niedrig es ist, sich wegen einer Leidenschaft zu einer so verwerflichen Tat verführen zu lassen.»
«Monsieur Blank», sagte Rosina, «hätte nicht Kattundrucker werden, sondern zum Theater gehen sollen.»
«Sehr wahr», Wagner nickte ernst. «Sehr wahr. Je mehr er redet, um so unwahrscheinlicher wirkt, was er behauptet.»
«Dann kann er wohl doch kein so guter Schauspieler sein», warf Claes ein. «Was wollte er hinter der Bühne, nachdem er sich so ehrenwert besonnen hatte?»
«Er wollte Mademoiselle Grelot …», Wagner schob die vielen kleinen Zettel auseinander, die er vor sich auf den Tisch gelegt hatte, fischte den richtigen heraus und las vor: «… bitten, anflehen, beknien. Sie sollte ihm das Buch wiedergeben, weil er es noch in dieser Nacht zurücklegen wollte. Nur dann würden der Diebstahl unbemerkt und seine Ehre unbefleckt bleiben. Aber wie er schon vorher beteuert hatte, sei sie nicht ansprechbar gewesen, und weil er sie in guter und nicht in ärgerlicher Stimmung antreffen wollte, sei er wieder gegangen, allerdings mit der festen Absicht, sie nach der Vorstellung auf dem Heimweg abzupassen. Obwohl er wußte, daß sie nicht allein sein würde, weil, so sagte er, die Dame immer mit ihrer Freundin Mademoiselle Rosina heimgegangen sei.»
«Stimmt das, Rosina?» fragte Claes.
Rosina nickte. Das stimmte tatsächlich. Auch wenn
Loretta in einem ganz anderen Ruf gestanden hatte, war sie, seit sie mit Rosina das Zimmer bei der Krögerin teilte, stets gleich nach der Vorstellung mit ihr nach Hause gegangen.
«Zumindest ist nicht alles falsch, was er behauptet», sagte Claes. «Was das Ganze allerdings nicht durchschaubarer macht. Schwarzbachs Musterbuch ist verschwunden, das stimmt. Blank hat es gestohlen, das muß auch wahr sein, warum sollte er sich zu einem Diebstahl bekennen, den er nicht begangen hat?»
«Aber es ist überhaupt nicht sicher, ob er das Buch auf Lorettas Wunsch gestohlen hat!» rief Rosina, die plötzlich fürchtete, daß Loretta schließlich selbst an ihrem Tod schuld sein sollte. «Ich kann mir nicht denken, daß Loretta so etwas getan hätte.»
«Natürlich kannst du das nicht, Rosina», sagte Anne sanft. «Sie war deine Freundin. Aber du hast sie doch erst kurz und nur sehr flüchtig gekannt. Und sie hat ja schon früher ihrem Glück ein wenig nachgeholfen. Da unten im Elsaß.»
Rosina entzog ihr unwirsch ihre Hand. «Das ist wahr. Aber was hättest du damals in ihrer Situation getan? Du weißt nicht, wie es ist, wenn man keinen Pfennig besitzt, wenn man allein ist in einem fremden Land und ohne Schutz. Wärst du gegangen, ohne etwas mitzunehmen, das dir überleben hilft? Was bleibt sonst? Dich selbst zu verkaufen? Hättest du das lieber getan? Loretta war dem gerade entkommen, es war ihre eigene Entscheidung, dieses bequeme Leben aufzugeben. Sie hat nur mitgenommen, was ihr als Lohn vorenthalten worden war.»
Anne sah Rosina erschreckt an. «Natürlich hast du recht», sagte sie dann langsam und klang doch nicht sehr überzeugt, «natürlich. Nur weil sie damals etwas mitgenommenhat, mußte sie das nicht auch hier tun. Oder tun lassen.» Sie mied vorsichtig das Wort «stehlen».
«Es ist ja mehr als stehlen», sagte Claes, der sich solche zartfühlenden Gedanken nur selten machte. «Wer ein Musterbuch stiehlt, schadet dem Besitzer immens. Doch wer
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