Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
sei. Auch Thomas Matthew sei erst kürzlich in solchen Geschäften unterwegs gewesen.
    «Ansonsten», schloß er, «spricht man in den Kaffeehäusern, an der Börse und am Hafen schon kaum mehr von dem Mord. Was sich allerdings ganz gewiß schlagartig ändern wird, sobald sich herumspricht, daß Lukas Blank in der Fronerei sitzt.»
    «Und habt Ihr Euch nach Reisenden aus Straßburg oder sonst aus dem Elsaß erkundigt? Sind welche in der Stadt?»
    «Richtig, Rosina, das hätte ich fast vergessen. In JensensKaffeehaus habe ich von einigen gehört. Aber es sind junge Männer, die sich hier eher auf ihrer Bildungsreise als in Geschäften aufhalten. Ich habe selbst zwei gesehen, aber auch die sind wegen ihrer Jugend für diese Sache gewiß ganz unbedeutend. Lorettas früherer Galan müßte ja nun schon über dreißig oder zumindest nahe daran sein.»
    Tatsächlich hatte er es von Anfang an für abwegig gehalten, daß Loretta aus vor vielen Jahren gekränkter Eitelkeit oder enttäuschter Liebe ermordet worden war. Er jedenfalls konnte sich nicht vorstellen, daß ein Mann so etwas tat.
    Es war spät geworden, bald würden Christian und Niklas zurück sein. Vielleicht auch nicht, denn Anne hatte gefunden, Claes solle sich gleich heute ein wenig in Großzügigkeit üben und sie für den ganzen Tag von allen familiären Verpflichtungen entbinden. Aber aus der Küche schlich schon der Duft eines mit Thymian, Petersilie und Basilikum gewürzten Rinderbratens herauf, und Wagner schob seine Zettel zusammen, verstaute sie wieder in seinem Rock und versprach, Nachricht zu geben, sobald er Neuigkeiten erfahre.
    «Und Rosina», sagte Augusta mit dem vertrauten, spöttisch blitzenden Lächeln, «Rosina wird das auch tun und keine einsamen Treffen mit fragwürdigen Herren mehr verabreden. Zumindest nicht, ohne vorher dafür zu sorgen, daß jemand in der Nähe ist, Euch notfalls beizustehen.»
    Rosina nickte brav. «Ich werde mich bemühen. Aber mir ist gerade noch etwas eingefallen. Vielleicht ist es nicht von Belang, und vielleicht blüht meine Phantasie in diesen Tagen ein wenig zu stark, aber ich habe heute noch etwas Seltsames erfahren.»
    Wagner setzte sich wieder, aber nur auf die Stuhlkante.Der Bratenduft ließ ihn großen Hunger spüren, und er hatte es eilig. Im
Bremer Schlüssel
wartete vielleicht kein Rinderbraten, aber doch ein gutes Mittagessen aus Ruths nicht minder köstlich duftenden Töpfen.
    «Es gibt im Orchester einen Violinisten», fuhr Rosina fort, «er ist auch erst einige Wochen hier, und er hat mir erzählt, daß es in Bristol ein ganz ähnliches Theater gibt wie das unsere. Schon seit mehr als einem Jahr.» Sie zögerte, plötzlich kam sie sich dumm vor. Überall auf der Welt wurden Mädchen getötet, warum sollte gerade der Mord in Bristol, in einer Stadt weit entfernt über dem Meer, etwas mit dem an Loretta zu tun haben? «Jedenfalls ist dort auch ein Mädchen getötet worden. Am Abend nach der Eröffnung.»
    «Aha», sagte Claes und dachte genau, was Rosina selbst gedacht hatte.
    «Sie gehörte gar nicht zum Theater. Sie brachte nur einen Korb mit Essen für einige der Schauspieler und Musiker, die noch auf der Bühne den großen Erfolg der ersten Aufführung feierten. Aber», Rosina schluckte und räusperte sich, sie sah wieder Lorettas Gesicht vor sich, den toten Körper in den Kulissen und die entsetzte Madame Hensel, «aber David sagt, sie sei auf genau die gleiche Art getötet worden wie Loretta. Und weil Ihr gesagt habt, Wagner, das sei eine besondere Art gewesen, dachte ich, es wäre gut, wenn Ihr es wüßtet.»
    Das fand Wagner auch, und er nahm sich vor, diesen Musiker aus England, an den er sich sehr wohl erinnerte, noch einmal genauer zu befragen. Er hatte schon erlebt, daß einer, der eine so schreckliche Tat begangen hatte, selbst und mit Empörung davon erzählte, ganz so, als habe er nur davon gehört.

10.   KAPITEL
    MITTWOCH, DEN 14.   OKTOBER, MITTAGS
    Der Wind blies heftig den Fluß hinauf, die Pappeln und Weiden auf den Elbinseln, von den ersten Herbststürmen schon ganz struppig, beugten sich ebenso seiner Kraft wie das wogende Ried an den Ufern. Vom Strand drang der Lärm der Säger und Schiffbauer den Geesthang herauf, und über der weiten Flußlandschaft schoben sich dicke Haufenwolken immer wieder vor die Sonne. Große Gebilde, weiß und in allen Grautönen, jagten so schnell über den Himmel wie die einmastigen Ewer und der schnittige Dreimaster mit ihren geblähten Segeln über

Weitere Kostenlose Bücher