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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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eine schöne Seele haben. So einfach war es wirklich nicht. Sie wünschte, ihr Mißtrauen würde ein wenig mehr von ihrem Verstand bestimmt. Aber weil es eben nicht so war, ließ sie sich langsam auf den Stuhl gleiten, ließ sie es auch zu, daß er aufstand, den gold- und pelzbesetzten Mantel aus rotem Samt von der Kostümstange nahm und ihr wärmend über die Schultern legte. Dann kehrte er zu seinem Hocker zurück. Sein Gesicht wurde wieder ernst, und er sagte: «Ich war im Orchester, als es geschah. Ihr wart auf der anderen Seite der Bühne, wie wir alle sehen konnten, als Ihr nach Madame Hensels Schrei quer durch die Szene sprangt. Ist das nicht genug, daß wir einander vertrauen können?»
    «Aber warum seid Ihr hier? Jetzt, wo sonst niemand hier ist?»
    Er grinste breit. «Niemand? Ihr seid auch hier. Ich wollte zu meinen neuen Noten, ich habe sie erst gestern mit der Post aus Wien bekommen. Es sind Noten für einige Arien aus einer ganz neuen Oper. Und weil ich einen ungeduldigen, außerordentlich unmusikalischen Wirt habe, will ich hier üben. Den Schlüssel für die Tür habe ich gestern abend von Seyler persönlich bekommen. Ihr seht, ich kann Euch nichts antun, Seyler würde wissen, daß ich es gewesen bin. Nun ist die Reihe an Euch. Warum seid Ihr hier?»
    Die Antwort auf diese Frage hatte Rosina sich schon überlegt. «Ich wollte Lorettas Beutel suchen, sie trug ihn immer bei sich, aber er ist verschwunden. Ich dachte, vielleicht ist ein Brief darin, irgend etwas Persönliches, das uns weiterhilft. Niemand wußte viel von Loretta, und es muß doch einen Grund geben, warum jemand glaubte, sie töten zu müssen.»
    David dachte nach. Dabei sah er sie an, ohne sie zu sehen, und unter seinem abwesenden Blick wurde ihr unbehaglich. «Wie seid Ihr überhaupt hier hereingekommen?» fragte er schließlich.
    Die Sache mit dem Fenster, das ganz zufällig nicht richtig verriegelt gewesen war, hörte er sich zwar an, aber offensichtlich nur mit halbem Ohr.
    «Nicht richtig verriegelt», murmelte er, «sehr praktisch.» Dann wurde sein Blick wieder fest, und er fuhr fort: «Ich habe gerade überlegt, Rosina, ob ich Euch davon erzählen soll. Ich will Euch nicht noch mehr beunruhigen, und wahrscheinlich ist es nur ein Zufall. Vielleicht wißt Ihr, daß ich aus Bath hierherkam, einem Badeort voller Adel und anderer reicher Leute im Südwesten Englands, nicht weit von Bristol. Bristol ist eine große Hafenstadt, nicht wie London, aber doch sehr bedeutend, und von dort geht der meiste Überseehandel nach den amerikanischen Kolonien. Aber das tut hier gar nichts zur Sache.»
    Sein Blick war aus dem Fenster gewandert, und Rosina fragte sich, ob er sich wie sie nach seinen alten Freunden sehnte. Oder nach einer Freundin.
    «In Bristol», fuhr er schließlich fort, «wurde vor anderthalb Jahren auch ein Theater eröffnet, auf fast genau die gleiche Weise wie hier in Hamburg. Auch dort waren es Kaufleute, die das Geld dafür gaben, allerdings eine Gruppe von äußerst erfolgreichen und nur wegen der Kunst theaterbegeisterten Kaufleuten; es hat von Anfang an Furore gemacht und hatte niemals Probleme, seine Plätze zu verkaufen. Aber am Eröffnungsabend, wir waren mit einigen Musikern aus Bath gekommen, um das Orchester zu verstärken, weil es noch nicht komplett war, wurde dort auch ein junges Mädchen getötet. Allerdings erst nach der Vorstellung, als nur noch einige, die ganz Unermüdlichen von uns, auf der Bühne den Erfolg feierten. Ich weiß nicht genau, wer sie war, irgendeine Schankmagd aus einer der Schenken am Hafen in der Nähe. Ich glaube, sie war eine Fremde, ein Mädchen vom Kontinent. Das ist nichts Besonderes. Von Bristol gehen viele Schiffe nach den amerikanischen Kolonien. Deshalb sind immer viele Fremde in der Stadt. Manche versuchen erst dort, das Geld für die Überfahrt zu verdienen. Vielleicht war sie auch so eine. Was jedoch das Bedeutsame daran ist: Sie wurde auf genau die gleiche Weise getötet. Jemand brach ihr das Genick. Schnell und lautlos.»
    Rosina schwieg. Sie sah ihn an wie eine schwarze Wand, versuchte in seinen Augen zu lesen, aber sie blickten nurwarm und sorgenvoll, und für einen Moment war ihr Mißtrauen völlig verschwunden.
    «Auf genau dieselbe Weise», sagte sie rauh. «Und Ihr glaubt, daß der, der dieses Mädchen   … So ist er nicht gefaßt worden?»
    «Doch. Sie haben ihn gleich gefaßt, noch in derselben Nacht, und bald gehenkt. Er war ein junger Glasbläser, der das Mädchen

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