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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Viele der von akkurat beschnittenem Buchsbaum umrahmten Kräuterbeete waren schon abgeerntet, aber immer noch war das von einer uralten Rotbuche beschattete Geviert zwischen Hecken aus Hainbuchen-, Holunder- und Weißdornbüschen ein üppig wuchernder und auch noch blühender Garten. Bunte Sternblumen nickten im Wind, späte weiße Rosenblüten leuchteten an dem wärmenden Fachwerk der Hauswand, und das feuerrote Laub eines buschigen Essigbaums gab den herbstlich dunklen Grüntönen der anderen Gewächse eine Heiterkeit, die den nahenden Winter zu verleugnen schien. Auf einer langen Rabatte wucherten noch die handtellergroßen, üppigen Blätter des Frauenmantels – nur während der Blütezeit bis in den Spätsommer schnitt Matti von dem heilsamen Kraut   –, und auf dem schmalen Pfad zwischen den beiden Beeten mit Pfefferminze, Rosmarin und Schafgarbe lag eine kleine eiserne Hacke.
    Offenbar war Matti eilig zu einer Geburt gerufen worden, sie hätte ihr Werkzeug sonst nie einfach liegengelassen. Und Lies? Wo mochte Lies sein? Wahrscheinlich mit ihrem großen Korb unterwegs zu den Frauen von den Ottensener Höfen, die auf dem Altonaer Fischmarkt Gemüse, Butter und Eier verkauften. Rosina war enttäuscht, sie hatte sich auf die Gesellschaft der beiden, auf ihre aufmunternde Zufriedenheit gefreut. Und auf ihren erfrischenden Tee aus Malven, Minze und getrockneten Apfelringen, den niemand besser zubereiten konnte als Matti.
    Wie lange eine Geburt dauerte, war nicht zu sagen, aber Lies würde gewiß bald zurück sein, über die unverschämtenPreise der Marktfrauen knurren und sich bemühen, ihre Freude über Rosinas Besuch nicht zu sehr zu zeigen.
    Rosina winkte den Spatzen zu, die sich vor ihr auf die obersten Zweige eines jungen Apfelbaumes zurückgezogen hatten, und verließ den Garten. Sie wollte Lorettas Grab besuchen, der Friedhof war ja nur wenige Schritte entfernt, und dann zurückkommen.
    Die niedrigen Häuser zwischen der Kirche St.   Pauli und Altona hinter der dänischen Grenze waren mittlerweile zu einem kleinen Dorf zusammengewachsen, und die nun schon fast hundert Jahre alte Kirche aus bäuerlichem Fachwerk duckte sich am östlichen Rand unter dem tief herabgezogenen roten Dach inmitten des großen Friedhofes. Der war als ein Ort der Stille und des Friedens auch von einer Hecke eingefaßt, aber nach der Harmonie in Mattis Garten erschien er Rosina wie ein rauhes Feld und trotz der Sonne öde wie an einem Nebeltag. Sie schritt langsam zwischen den verstreuten, schmucklosen Gräbern mit den kleinen Grabsteinen hindurch. Loretta hatte ihren letzten Platz nahe der Hecke zur Elbe hin. Im nächsten Frühling würde er von den winzigen cremefarbenen Blüten eines großen Holunderbusches bestreut sein, und der junge Goldregen, den Matti neben das Grab gepflanzt hatte, würde in seinen leuchtenden Blütenreben die Sonne für sie einfangen. Der Friedhof lag verlassen, aber als sie sich umdrehte, sah sie auf dem Hof des kleinen Pastorats gegenüber der Kirche den Pastor. Er hatte beide Hände in die Seiten gestemmt und den schiefgelegten Kopf gebeugt, als beobachte er einen Maulwurf bei seiner Arbeit. Aber egal, was ihn gerade so beschäftigte, er würde sich nicht gestört fühlen, wenn Rosina ihm nun endlich für seine Bereitschaft dankte, Loretta auf seinem Friedhof aufzunehmen.
    Er war ein noch junger Mann, sein mehr gebräuntes alsrosiges Gesicht mit dem kantigen Kinn sah nie so fromm aus, wie sein Kirchenministerium es gerne hätte. Was bedeutete, daß er lieber laut lachte oder – wenn es nötig war – schimpfte, als papierne oder gar demütigende Belehrungen zu verteilen. Sein Name, Gabriel Kummerjahn, paßte zu ihm wie Schnee zum August. Auch besaß er ein eigenes Pferd, ein rassiges Tier aus einem der besten Gestüte im Hannoverschen, und es hatte sich herumgesprochen, daß er es liebte, frühmorgens, gleich nach Sonnenaufgang, in wilder Jagd über den Hamburger Berg hinauf querfeldein bis hinter Eimsbüttel oder Eppendorf zu galoppieren, als habe er mindestens drei Schutzengel. Die Leute in seinem Kirchspiel hatten erst lernen müssen, ihn zu mögen. Daß er eine vermögende Mutter hatte, die ihm ein solches Pferd schenken konnte, machte es nicht einfacher. Aber nun gingen sie für ihn durchs Feuer.
    Als Rosinas Schatten in sein Blickfeld fiel, sah er auf und lächelte sie freundlich, wenn auch ein wenig abwesend an.
    «Guten Tag, Mademoiselle   …? Entschuldigt meine Vergeßlichkeit, ich weiß

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