Loriot - Biographie
widerstehen. Als weibliche Hauptrolle schwebte mir eine mittelgroße, füllige, 50-jährige, dauergewellte, blonde deutsche Hausfrau vor … Beim ersten Treffen erschien eine hohe, schlanke, junge Wilde mit ungebändigtem brünettem Haarwuchs. Die Frage, ob sie bis zu den Dreharbeiten 15 Kilo zunehmen könne, beantwortete sie ausweichend.« [104] Das Bistro Grashoff existiert noch heute, allerdings nicht mehr in der Sögestraße, wo in den 1970er-Jahren nicht nur Loriots Crew, sondern auch Rudi Carrell und Klaus Bresser und andere Fernsehstars Stammgäste waren. Und die Brünette sollte bald ebenso bekannt und berüchtigt sein wie Loriot selbst: Evelyn Hamann.
Evelyn
Es war Jürgen Breest zu verdanken, der sich an diese Evelyn Hamann erinnerte. Und es war der reine Zufall, dass sie just in dieser Zeit am Bremer Theater arbeitete.
Evelyn Hamann war am 6. August 1942 in Hamburg geboren worden, mitten hinein in eine Künstlerfamilie. Ihr Vater Bernhard war Konzertmeister des Sinfonieorchesters des NDR und obendrein Gründer des seinerzeit berühmten Streichquartetts Hamann-Quartett. Ihre Mutter war Sängerin, ihr Großvater Konzertmeister in Berlin, ihr Bruder später Professor für Cello in Trossingen. Evelyn aber zog es zum Schauspiel. Lediglich zur Finanzierung ihrer Schauspielausbildung wandte auch sie sich der Musik zu und trat mit einer Jazzband in Kneipen auf. Ersten Rollen, noch während der Studienzeit, am Thalia-Theater in Hamburg folgte 1968 ein erstes festes Engagement in Göttingen, am Jungen Theater. Damals machte man dort noch alles selbst, Bühnenaufbau, Maske, Requisiten und so weiter. Eine wertvolle und lehrreiche Zeit. Drei Jahre später ging sie nach Heidelberg, um schließlich 1973 zum Theater der Freien Hansestadt Bremen zu wechseln. Eine schicksalhafte Entscheidung. Dort blieb sie bis 1979, spielte Ionesco, Goethe oder Dario Fo. Die wichtigste Rolle aber sollte eine andere werden.
Sie wurde zur Sketchpartnerin für Vicco von Bülows neue Sendereihe bei Radio Bremen. Und das, obwohl sie bis dato noch keine einzige komische Rolle gespielt hatte. »Hamann verkörperte für Loriot überwiegend solche brav-biederen Hausfrauen und Gattinnen, die der Aufbruchsgeist der 1960er- und 1970er-Jahre irgendwie gestreift hatte und die versuchten, sich über symbolische Ersatzhandlungen als progressiv zu geben, ohne dabei freilich die Fundamente der kleinbürgerlichen Traditionsbestände zu attackieren. So wurde sie zur weiblichen Hauptperson in Loriots feingezeichneten Sittengemälden bundesdeutscher Spießigkeit«, hieß es bei Spiegel Online über die Mimin. [105] Und die Zeit porträtierte die Schauspielerin so: »Wie sie unter einer Blondhaarperücke zum spießigen Dummchen wurde, das mit halbgeöffnetem Mund und ungläubigem Blick die Wanderung einer Nudel im Gesicht ihres Partners verfolgt, während dieser ihr beim Essen im feinen Restaurant eine Liebeserklärung macht, das ließ den Herrn am Tisch allemal noch dümmer erscheinen, als es der Ausdruck in ihrem Gesicht je hätte sein können. Stets spielte sie jenes Entsetzen mit, das einen ordentlichen Menschen befällt, wenn er auf das Chaos trifft (…). Die preußische Komik des Vicco von Bülow brauchte eine so sachliche, integre Interpretin wie Evelyn Hamann. Höchste Perfektion ist es, die sie so glaubwürdig, so unfehlbar komisch macht.« [106]
Sicher wurden sie zum komischsten und populärsten Paar in der Geschichte des deutschen Fernsehens.
LORIOT I – Loriots sauberer Bildschirm
Das Sofa war inzwischen rot geworden, aber sonst unterschied sich die Szenerie auf den ersten Blick kaum von den späten Cartoon -Folgen, die aber auch schon fast vier Jahre zurücklagen. Die erste Sendung begann am 8. März 1976 gleich mit einem Zeichentrickfilm, in dem sich zwei Knollennasen zum Thema Plastologie unterhalten. Die Szene spielt offensichtlich vor der anstehenden Aufzeichnung. »Ist unser Interview schon dran?«, knarzt der Moderator fragend, ein semmelblondes Knollennasenmännchen. Es war der erste Satz, den der deutsche Fernsehzuschauer an diesem Abend nach Jahren der Loriot-Abstinenz zu hören bekam.
Sogleich entspann sich zwischen Frager und Befragtem, ein kahlköpfiger und dicklicher Mann mit Fistelstimme (auch gesprochen von Vicco von Bülow), ein Dialog des Missverstehens. Und so war der Zuseher auch ohne Intro, Erklärung oder Hinleitung sofort im Thema. Aber erst sehr viel später würde er erfahren, dass es sich um Hartmut Gilling und
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