Loriot - Biographie
brachial mit der Wahrheit zu konfrontieren. So könnten sich die Betrachter Stück für Stück selbst komisch sehen und sich mit dieser etwas schwereren Form von Humor anfreunden.
Nicht zuletzt die Begeisterung des Zeit -Autors (ein weiteres Zitat: »Er hat es immerhin geschafft, die Deutschen ein etwas intelligenteres Lachen zu lehren«) beweist, dass Loriot schon 1974, als der Text entstand, stilprägend für den deutschen Humor war. »Der Mann vor mir, von Natur und Erfahrung so eingerichtet, daß er in jeder Beziehung eine gute Figur macht, die Augen von Fältchen umgeben, die der Schalk placiert hat, und sein Mund drückt noch in ernster Positur eine gewisse ironische Vergnügtheit aus. Loriot also umschreibt Humor so. Voraussetzung sei Abstand, sei ›die Fähigkeit zu beobachten und zu objektivieren‹. So erklärt sich auch seine Arbeitsweise. (…) ›Jede Art von Pointe ist das Ergebnis einer Assoziationskette, einer Gedankenvorarbeit, man tastet das ganze Gebiet erst ab‹ und ›feilt dann an der Pointe ziemlich lange herum, bis das herauskommt, was man für möglich hält.‹« [102]
Im Jahr 1975 erschien Loriot dann auch in der DDR. Der Eulenspiegel Verlag veröffentlichte das Buch Loriots praktische Winke . Ein weiteres Werk, Das dicke Loriot-Buch , erschien zwei Jahre später. Jetzt war Vicco von Bülow in ganz Deutschland angekommen, und er konnte auch dort gelesen werden, wo er geboren wurde. Seine Fernsehsendungen waren im Osten des geteilten Landes längst so populär wie im Westen, obwohl sie natürlich nur heimlich gesehen werden konnten. Im Westen war 1973 ein weiterer sehr erfolgreicher Sammelband erschienen, mit neuen Cartoons aus dem Stern , für den Vicco von Bülow seit 1971 wieder arbeitete. Titel des noch heute erhältlichen Buches: Loriots Heile Welt .
Auch wenn er sich mit regelmäßigen Fernsehsendungen rar machte, war er doch immer präsent. Da war natürlich Wum, der allmonatlich Wim Thoelke vor sich hertrieb, da war aber auch 1975 ein Cover des größten und wichtigsten deutschen Nachrichtenmagazins, des Spiegel , das er gestaltete. 1974 bekam er das Große Bundesverdienstkreuz verliehen und im gleichen Jahr den Karl-Valentin-Orden. Und er enterte wieder einmal einen neuen Bereich, die Musik. 1975 verfasste er Zwischentexte zum Karneval der Tiere von Camille Saint-Saëns.
Vier Jahre dauerte die Bildschirmabstinenz des Vicco von Bülow. Sieht man von der zweiten Telecabinet -Sendung und vor allem der erfolgreichen Produktion der Wum-Filme ab. Erst 1976 begann sein endgültiger Aufstieg zur Nummer eins des deutschen Humors, mit der heute legendären Sendereihe, die den schlichten Titel Loriot trägt, jeweils versehen mit einer römischen Ziffer, nämlich I bis VI. Nur sechs Sendungen also, das wäre heutzutage keine halbe Staffel, und das Ganze auch noch verteilt über fast drei Jahre. Das Tempo in den 1970er-Jahren war noch ein anderes.
Dieter Ertel war schon 1974 als Fernsehdirektor zu Radio Bremen gewechselt, aber der innige Kontakt zu Vicco von Bülow, seinem kulturellen Ziehsohn, riss nie ab. Letztlich überredete er ihn, seine zweite bedeutende Fernseharbeit für Radio Bremen zu produzieren. Man wurde sich schnell einig. 1975 begegnete Vicco von Bülow dann erstmals Jürgen Breest, dem Leiter der Redaktion »Fernsehspiel und Unterhaltung« bei Radio Bremen, unter dessen redaktioneller Leitung all die heute legendären Sketche und Sendungen entstehen sollten. Breest hatte spezielle Erwartungen vor der ersten Begegnung mit dem Meister. »Ich erwartete einen verwöhnten, vermutlich eitlen, zudem noch adligen, kamerasüchtigen Entertainer. Nicht ahnend, dass er soviel Selbstdistanz besaß, sich (…) über sich selbst und seinen Status als Prominenter lustig zu machen, betrat ich mit eher bangen Gefühlen das Büro von Dieter Ertel – und traf auf einen höflichen, freundlichen und bescheidenen Herrn, dem sein Ruhm nicht im Geringsten anzumerken war. Understatement und Zurückhaltung trotz größter Kompetenz seinerseits sorgten sofort für eine gewisse Distanz; eine Atmosphäre, in der kreatives Arbeiten nicht nur ermöglicht, sondern sogar gefördert wurde, denn zu große Nähe kann sich in künstlerischen Beziehungen als sehr hinderlich erweisen.« [103]
»Die Honorare waren bescheiden, die Arbeitsbedingungen ideal«, schrieb Vicco von Bülow zu den Anfängen in Bremen. »Dies und die Nähe des Bistro Grashoff ließen mich den verlockenden Angeboten großer Sender
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