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Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Titel: Lost Girl. Im Schatten der Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Ströle
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zuhört, wie Mina Ma sich bitter über die »abstruse Einkaufsliste« voller Sachen beklagt, »die man in diesem bemitleidenswerten Land nicht bekommt«. Ich will Erik an der Hand halten, am Seeufer entlanglaufen und ihn hinter mir herziehen. Und Jonathan soll mich auf der Schaukel anschubsen, die meine Vormunde mir zum siebten Geburtstag geschenkt haben.
    Und Ophelia …
    Nein, schon der Gedanke tut weh.
    Ich zwinge mich, mich auf die Gegenwart zu konzentrieren. »Was könnte auf dieser CD sein?« Sie glänzt im Schein der Lampe.
    Sean knüllt die Verpackung des Schokoriegels zusammen. »Es gibt hier jede Menge Abspielgeräte«, sagt er. »Bestimmt findet sich irgendwo auch ein CD -Player.« Er sieht auf die Uhr. »Es ist noch früh. Die Schauspieler werden noch nicht mit Proben fertig sein, aber wir können nicht ewig warten.«
    »Ich glaube, in der Umkleide unter uns stand so ein alter Kasten. Vielleicht funktioniert er.«
    »Ich sehe nach.«
    Sean ist nicht lange weg. Er kehrt mit dem Radio zurück. »Im Zimmer waren Leute«, sagt er ein wenig bedauernd. »Aber sie haben mich nicht weiter beachtet. Sie kennen mich ja.«
    Wir müssen aufbrechen, und zwar schnell. Sean schließt das Gerät an eine Wandsteckdose an. Obwohl es ziemlich alt ist, hat es eine CD -Funktion. Sean drückt auf PLAY .
    Es knistert und rauscht, entweder weil der CD -Spieler alt ist oder die Aufnahme oder beides. Zuerst hören wir nur einige gedämpfte Laute, Schritte, ein Knarren und eine sich öffnende und wieder schließende Tür. Dann eine Stimme.
    »Erik! Was verschafft mir die unerwartete Ehre?«
    Matthews Stimme. Sie klingt anders, jünger. Trotzdem ist es Matthew, ohne Zweifel.
    Dann spricht Erik: »Ich komme, um dir meine Antwort zu geben. Ich kann es nicht tun.«
    »Warum nicht?«
    »Du kennst den Grund. Ich habe erlebt, was passiert, wenn sie die verdammten Gesetze brechen. Ich wäre verrückt, die Verantwortung für eins von ihnen zu übernehmen.« Eine Pause entsteht. Im Hintergrund ist ein Glucksen zu hören und mir wird klar, dass noch jemand im Zimmer ist. Ein Kind? Ein Baby? »Wenn ich sie unterrichten und aufziehen würde, würde sie mir unweigerlich auch ans Herz wachsen. Und ich könnte es nicht ertragen, wenn sie dann wegen irgendeiner dummen Kleinigkeit ausgelöscht würde. Nein. Ich will zwar nicht ganz aus der Meisterei ausscheiden, aber ich kann kein Vormund sein. Ich will nicht für dieses kleine Wesen verantwortlich sein.«
    »Ich kann niemanden sonst fragen!«, sagt Matthew unwirsch. »Weil es niemanden gibt!«
    »Du hast viele Vormunde, die bereit wären …«
    »Keinen, dem ich sie anvertrauen wollte. Du bist genauso lange wie ich dabei, du sollst zu ihrem Leben gehören. Sieh sie dir an, Erik! Sieh doch … wenn ich sie hochnehme, lächelt sie mich an!«
    »Wie mutig von ihr«, sagt Erik trocken.
    Matthew schnaubt und klingt jetzt dem Matthew, den ich kenne, bemerkenswert ähnlich. »Ich meine ja auch nur, dass das Kind offenbar ›gut‹ nicht von ›schlecht‹ unterscheiden kann. Niemand bei Verstand lächelt mich so vorbehaltlos an. Es wird uns noch Ärger machen, das spüre ich schon jetzt. Ich werde es bald fortgeben müssen – es muss die Meisterei verlassen und in den Norden umziehen. Dann muss jemand auf es aufpassen. Und du bist der einzige Vormund, dessen Wort bei uns Gewicht hat. Du bist der Einzige, der dafür sorgen kann, dass ihm nichts passiert.«
    Ich habe Matthew noch nie so aufrichtig sprechen hören. Genauso wenig habe ich erlebt, dass er um etwas bittet. Es trifft mich wie ein Schlag.
    Ich werfe Sean einen Blick zu und merke, dass er dasselbe denkt wie ich: Erik lenkt dieses Gespräch bewusst. Offenbar hat er ein Aufnahmegerät in der Tasche versteckt. Aber warum?
    »Es handelt sich vermutlich um das Echo der Tochter von Neil und Alisha«, sagt Erik. »Amarra? Heißt sie nicht so?«
    Ich erstarre und lausche so angestrengt, dass ich ein Zucken in den Ohren spüre.
    »Das weißt du doch.«
    »Matthew«, sagt Erik und er scheint jedes Wort sorgfältig abzuwägen, »ich verstehe, warum dieser Fall anders ist. Ich verstehe auch, dass es nicht leicht für dich ist. Aber du bist ein launischer Mensch. Du änderst deine Meinung von einer Minute zur anderen. Heute willst du, dass jemand gut auf sie aufpasst, aber sobald sie dich langweilt, ist dir ihr Schicksal egal.«
    »Das ist wirklich eine abscheuliche Verleumdung …«
    »Lass mich bitte ausreden. Du hast dich geändert und ich weiß

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