Lost Girl. Im Schatten der Anderen
nicht, ob ich dir vertrauen kann. Was nützt es, wenn ich auf sie aufpasse, wenn sie vor dir niemals sicher ist? Kann ich sie denn wirklich schützen, wenn ihr Gefahr droht? Nur ein Meister kann das.«
Matthew stöhnt ungeduldig. »Was willst du denn? Mein Wort, dass ich in einem solchen Fall alles tun werde, um sie zu retten?«
»Vielleicht würde das meine Meinung ändern.«
Es folgt eine lange, angespannte Pause.
»Auf was genau willst du hinaus, Erik?«
»Wenn ich für dieses Mädchen in den Norden umziehe und dabei riskiere, dass ich es lieb gewinne, musst du mir im Gegenzug etwas versprechen. Nämlich, dass du für es da bist, wenn es dich braucht.«
Wieder folgt eine Pause und ich merke, wie ich die Luft anhalte. Die Ohren sausen mir. Ich verstehe das alles nicht. Mir ist, als träumte ich, von körperlosen Stimmen und Echos einer längst vergangenen Zeit, die keinerlei Bedeutung und Wirklichkeit mehr haben.
»Unter einer Bedingung.«
Erik seufzt. »Schieß los.«
»Ich werde für sie da sein, aber unter der Voraussetzung, dass sie es wert ist.«
»Du meine Güte, Matthew …«
»Das ist meine Bedingung, Erik. Ich weiß, was ich von dir verlange, deshalb hast du mein Wort. Aber ich riskiere nicht Kopf und Kragen für ein wimmerndes Etwas, das nicht einmal den Versuch macht, sich selbst zu retten.«
»Aber dieses wimmernde Etwas ist dir wichtig …«
»Nur als lebendiger, atmender Teil eines verlorenen Traums.« Matthew klingt verächtlich, als könnte er selbst nicht glauben, was er da sagt. »Das ist natürlich alles sentimentaler Quatsch und ich komme bestimmt darüber hinweg. Das andere, das wirkliche Baby, das Mädchen, gehört Neil und Alisha. Sie dagegen gehört mir. Alisha habe ich verloren, aber sie …«
Stille. Zu hören sind nur noch das Rauschen und Knistern der Aufnahme und die gedämpften Laute des Babys im Hintergrund.
»Also gut«, sagt Erik eine Ewigkeit später. »Bedingung angenommen. Aber dein Versprechen reicht mir nicht. Du hast schon alle möglichen Zusagen gegeben, dann aber doch wieder irgendwelche Ausflüchte gesucht. Diesmal sollst du es ihr versprechen.«
Matthews Ton ändert sich. Er spricht zu jemand anders. »Ich verspreche es dir.«
Die einzige Antwort ist ein entzücktes Babylachen.
»Danke«, sagt Erik.
Wieder ein Knarren, Schritte, das Geräusch einer sich öffnenden Tür. Dann Matthews Stimme: »Du hättest deine Meinung sowieso geändert, egal was ich verspreche.«
»Das werden wir jetzt wahrscheinlich nie wissen.«
» Ich weiß es«, sagt Matthew. »Habe ich dir das nie gesagt? Ich weiß alles.«
Die Tür schließt sich und die Aufnahme ist zu Ende.
8. Überwältigt
S ean drückt auf Stopp und holt die CD heraus. Er wischt einige Fingerabdrücke von der glänzenden Oberfläche und schweigt. Offenbar ist er genauso ratlos wie ich.
»Warum hat Erik mir nicht früher davon erzählt?«, frage ich schließlich. »Er hat die Aufnahme doch damals für den Fall gemacht, dass ich sie einmal brauche.«
Sean schüttelt den Kopf. »Matthew war sein Freund und ist es immer noch. Erik wollte dir wahrscheinlich nichts sagen, damit Matthew sich nicht hintergangen fühlt. Deshalb hat er die Aufnahme in dem Schließfach aufbewahrt. Er wusste, dass du es erst anrühren würdest, wenn du es wirklich brauchst.«
Ich betrachte schweigend die CD und reibe mir die Arme, um mich warm zu halten. Keine Ahnung, was ich davon halten soll. Unwillkürlich denke ich an ein hellgrünes Kinderzimmer und einen lachenden Matthew. Wütend beiße ich mir auf die Lippen. Das waren nur Träume. Zwar habe ich jetzt die Aufnahme, aber es wäre dumm und reine Selbsttäuschung, deshalb von Matthew etwas zu erwarten.
»Wusstest du, dass Matthew Alisha einmal geliebt hat?«, fragt Sean.
Ich zucke mit den Schultern. »Sie waren irgendwie komisch miteinander. Und ich habe einmal ein Gespräch von Neil und Alisha mitgehört. Es klang so, als wäre womöglich früher mal etwas zwischen Alisha und Matthew gewesen. Nicht dass es jetzt noch eine Rolle spielte, das ist lange her. Erik wollte mir nur helfen. Aber wenn Matthew je etwas für Alisha empfunden hat oder für mich, was ich nicht glaube, dann ist das jetzt nicht mehr so.«
»Matthew hat sich verändert«, sagt Sean. »Er ist bitter geworden. Vielleicht kann er gar nicht mehr lieben. Vielleicht interessieren er und Adrian sich nur noch für sich selbst, wer weiß? Ich frage mich nur, warum er sich die Mühe gemacht hat, dich hier zu
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