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Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Titel: Lost Girl. Im Schatten der Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Ströle
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zurückzuverfolgen, ich lege sowieso gleich wieder auf.« Ich muss gar nicht so tun, als wäre ich aufgeregt oder wütend. Meine Stimme bricht. »Ich dachte … ich dachte, du hättest mich lieb.«
    »Aber das habe ich doch auch!« Ophelias Stimme klingt so klar, so aufrichtig, dass ich es mich fast zerreißt. »Genau deshalb habe ich Adrian doch verständigt! Ich will nicht, dass dir etwas zustößt, Eva, aber dort, wo du bist, bist du nicht sicher, verstehst du das nicht? Eine Jägerin hätte dich fast getötet, und wenn die Jäger dich wieder aufspüren …«
    »Und du glaubst, bei Adrian kann mir nichts passieren?« Ich wische mir über die Augen. »Du glaubst, in der Meisterei wäre ich sicher?«
    »Die Meister werden doch nicht …«
    »Nein, deine Versprechen reichen mir nicht! Ich lege jetzt auf. Sag Adrian, was du willst. Wir fliegen heute Abend. Und ich rufe dich nie mehr an.«
    Ich lege auf. Meine Hände zittern. Sean zieht mich an sich und ich vergrabe das Gesicht an seiner Schulter. Er legt die Arme um mich.
    »Glaubst du, es funktioniert?«, murmle ich undeutlich.
    Sein Herz schlägt an meinem Ohr. Ich lausche auf das Klopfen und spüre, wie Seans Brust sich hebt und senkt. Er zuckt mit den Schultern. »Der Anruf wirkte emotional und unüberlegt. Insofern passt er zu dem, was sie von dir wissen. Wenn wir Glück haben, glauben sie jedes Wort und konzentrieren sich auf die Flughäfen.« Ich trete einen Schritt zurück und blicke zu ihm hoch. Er lächelt schief. »Gut gemacht, Eva.«
    »Nur wenn es funktioniert.«
    Wir nehmen ein Taxi zum Busbahnhof Victoria Station. Dort studiere ich die Fahrpläne, während Sean Wache hält. Wir denken uns eine komplizierte Route mit mehreren Bussen quer durch East Anglia aus, die in Cromer endet, dann stellen wir uns an, um Fahrkarten zu kaufen. Draußen ist es noch nicht dunkel, aber die Farben verblassen bereits und die Sonne scheint orange-golden über die Straße.
    Wir sind zur dritten Stelle vorgerückt, da flüstert ein kleines Kind vor uns: »Mom, sieh mal den Mann da! Er hat kein Ohr!«
    Ich erstarre.
    »Pst, Terry, das ist unhöflich! Und man zeigt nicht mit dem Finger auf andere …«
    Ich höre nicht mehr zu, mein Herz klopft viel zu laut. Sean steht bewegungslos wie eine Statue neben mir. Dann dreht er den Kopf ein wenig und blickt über mich hinweg.
    »Sind sie das?«, flüstere ich.
    Er nickt grimmig. »Genau dieselben.«
    Ich riskiere einen kurzen Blick und sehe sie auch. Zwei junge Männer, die geduldig am Ausgang stehen. Es ist nichts Schreckliches oder Unheimliches an ihnen, auffällig ist nur ihre ruhige, wachsame Art, genauso wie Sean es beschrieben hat. Der eine hat blaue Augen, kurze rötliche Haare und Narben auf der linken Gesichtshälfte. Der andere ist blond und hat freundliche Augen und nur ein Ohr. Es handelt sich eindeutig um Echos, um Wächter der Meisterei. Und sie haben uns gesehen.
    Sean drückt meine Hand. »Lauf.«
    Das hätte er mir nicht zu sagen brauchen. Ich laufe schon und ziehe ihn mit mir. Wir rennen vom Ausgang weg, in die entgegengesetzte Richtung, an älteren Damen und glücklichen Familien vorbei, eine Treppe hinunter und in das unterirdische Busdepot. Hinter uns höre ich Schritte. Dicht hinter uns. Ich denke an die Gewehre und Hunde, die ich bei unserem Zwischenstopp auf dem Flug nach Manchester im Flughafen von Dubai gesehen habe, und wie die Hunde geknurrt und geschnappt haben, wenn man ihnen zu nahe kam. Die Späher sind wie diese Hunde. Ausdauernd, stark und zielstrebig. Wenn wir nicht schneller sind als sie, werden sie uns in die Meisterei schleppen.
    Sie haben die Treppe erreicht. In Panik sehe ich mich um und renne nach rechts zwischen zwei parkende Busse.
    »Hier, schnell!«
    Sean folgt mir. Keuchend und nach Luft schnappend knien wir uns auf den Boden, um möglichst nicht gesehen zu werden. Es ist ein heißer Sommertag und im Bahnhof ist es stickig wie in einem Ofen. Bestimmt wird mir von dem Gestank nach Schweiß, Schmierfett und Benzin gleich übel.
    »Sie haben uns viel zu schnell gefunden!«, flüstere ich. »Woher wussten sie, dass wir hier sind? Sie sollten doch die Flughäfen überwachen!«
    Seans Gesicht nimmt einen gequälten Ausdruck an. »Sie müssen gewusst haben, dass wir im Theater waren.« Er schließt die Augen. »Sie müssen mir vorhin gefolgt sein. Offenbar konnte ich sie trotz der vielen verschiedenen Taxis und der langen Warterei im Café nicht abschütteln.«
    Ich drücke seine Hand fest.

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