Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Titel: Lost Girl. Im Schatten der Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Ströle
Vom Netzwerk:
»Es ist nicht deine Schuld, du konntest es nicht wissen. Wir hatten auf dem ganzen Weg hierher nicht das Gefühl, dass wir beobachtet werden. Das sind Profis, die ihr Handwerk verstehen. Du kannst wirklich nichts dafür …«
    Er hält mir den Mund zu. »Pst!«, zischt er mir ins Ohr. Trotz der Hitze wird mir kalt und ein Kribbeln überläuft mich. »Sie sind auf der anderen Seite des Busses.«
    Ich spähe an ihm vorbei und unter dem Bus hindurch und sehe in etwa zehn Meter Entfernung zwei Paar Beine. Sean lässt mich los und richtet sich vorsichtig auf. Mit gerunzelter Stirn sucht er den Bahnhofsvorplatz in der anderen Richtung ab.
    »Wir müssen hier weg, bevor sie uns finden.« Er zeigt auf das offene Tor, durch das die Busse ein- und ausfahren. Dahinter sehe ich staubiges Sonnenlicht flimmern. »Das scheint der einzige Ausweg zu sein. Bist du bereit?«
    »Jetzt?«
    »Jetzt.«
    Wir stürzen zwischen den Bussen hervor und rennen auf das offene Tor zu. Es ist so weit weg. Ich renne schneller, so schnell ich kann. Ich höre die Späher in einiger Entfernung hinter uns, wage aber nicht, mich nach ihnen umzudrehen. Wie zielstrebig sie arbeiten. Sie rufen uns nichts nach, sie stoßen keine Drohungen aus, sie folgen uns einfach nur. Seans Hand ist mir der einzige Halt.
    Zu schnell laufen wir auf die Straße mit ihren vielen Autos. Sean reißt mich zurück. Doch der Schwung katapultiert ihn selbst nach vorn, während ich zurückbleibe. Reifen quietschen.
    Ich renne um das Auto und sehe Sean auf der anderen Seite am Boden liegen.
    »Sean!«
    Ich stürze zu ihm, doch er ist schon wieder aufgesprungen. Der Fahrer des Autos schimpft wütend, aber niemand hört ihm zu. Sean packt mich an der Hand und wir rennen weiter, doch die Späher haben uns fast eingeholt. Ich bekomme einen Krampf in der Wade, es zerreißt mich förmlich.
    Wir erreichen den Eingang einer U-Bahn-Station. Als ich die Treppe hinuntersprinte, kommt mir ein kleiner Junge in die Quere. Ich will ihm ausweichen, stolpere aber und falle an ihm vorbei die Treppe herab. Die Welt steht plötzlich Kopf. Ich schlage mit dem Kopf gegen das Geländer.
    Schmerzen. Schwarze Punkte tanzen vor meinen Augen.
    Ein junger Mann nimmt meine Hand und hilft mir auf. Ich sehe ihn durch die tanzenden Punkte hindurch an und stelle fest, dass er blaue Augen hat. In seinem Blick ist keine Häme, kein Hass. Er wirkt nur müde.
    »Es tut nicht weh«, sagt er.
    Aber das tut es doch, allerdings nur wenig, wie der Stich einer Nadel. Der Mann steckt die Spritze wieder ein. Ich blinzle mit den Augen, dann kann ich auf einmal nicht mehr blinzeln. Meine Hand wird taub, dann mein Arm, dann der ganze Rest. Die Schmerzen in meinem Kopf verschwinden. Ich will etwas sagen, spüre aber auch meinen Mund nicht mehr. Die Knie geben unter mir nach. Ich falle und der Mann mit den blauen Augen fängt mich auf.
    Meine Augen stehen offen, aber ich kann mich nicht rühren. Er trägt mich weg, ohne dass ich mich dagegen wehren kann. Ich spüre nichts.

9. In der Meisterei
    I ch kann nur das sehen, was in gerader Linie vor mir ist. Die Schulter des Fremden mit den blauen Augen. Die Rücklehne eines Autositzes. Ein hohes, schmiedeeisernes Tor. Gänge. Eine Treppe, die einen Turm hinaufführt. Ein kleines Fenster. Dann Sean, sein Gesicht über mir. Er redet, aber seine Worte ergeben keinen Sinn. Er berührt mich, aber ich spüre es nicht. Ich will ihm sagen, dass ich bei Bewusstsein bin, aber ich kann es nicht. Noch nicht.
    Erst langsam kehrt das Gefühl zurück und mit ihm kommen die Schmerzen. Mein Kopf steht in Flammen. Es ist kein scharfer, stechender Schmerz, sondern ein langsames Brennen wie von einer Kerze, die jemand an einen bestimmten Punkt in meinem Kopf hält und die immer heißer wird. Ich höre ein leises, gequältes Stöhnen und merke, dass es von mir kommt. Wenigstens kann ich wieder Geräusche verursachen. Ich glaubte schon, ich sei zu Stein verwandelt worden.
    »Eva.« Seans Stimme klingt schrill vor Erleichterung. »Kannst du dich aufsetzen?«
    Ich zeige ihm, dass ich es kann, brauche dazu aber eine Ewigkeit.
    »Ich glaube, mir fehlt nichts.« Ich probiere meine Stimme aus, bewege die Finger. Beides geht, wenn auch noch unsicher. »Aber ich habe schreckliche Kopfschmerzen.«
    »Theseus meinte, die gehen vorbei, aber ich weiß nicht, ob ich ihm glauben soll.« Ich sehe Sean verwirrt an. »So heißt der Späher mit den Narben und den blauen Augen«, erklärt er. »Der andere heißt Lennox.« Er

Weitere Kostenlose Bücher