Lost Girl. Im Schatten der Anderen
unbewegt zu. Dann steht er auf und folgt dem Wächter aus dem Zimmer.
»Keine Angst«, sagt Adrian zu mir. »Nach unserem Gespräch lasse ich ihn wieder holen.« Er wendet sich an Ophelia und in seine dunkle, gleichgültige Stimme tritt eine Ahnung von Wärme. »Lass uns bitte allein.«
Ophelia verlässt das Zimmer und schließt die Tür leise hinter sich.
»Darf ich?« Adrian zeigt auf den Stuhl vor dem verschrammten alten Schreibtisch.
»Sie sind hier der Meister.«
Er lächelt. Es ist kein schönes Lächeln. »Ja, wohl wahr. Ich dachte schon, du hättest es vielleicht vergessen.«
Ich schweige. Mein Herz klopft.
»Mache ich dir Angst?«
Ich schüttle trotzig den Kopf.
»Ich glaube schon«, sagt er amüsiert. »Aber du schlägst dich tapfer, das gefällt mir.« Er zieht den Stuhl ans Bett und setzt sich, stützt die Ellbogen auf die Knie und sieht mich an.
Ich zwinge mich, den Blick zu erwidern.
Der Blick seiner golden schimmernden Augen durchbohrt mich. Ich schlucke.
»Wenn ein Echo wie du wegläuft und gegen seine Bestimmung verstößt, verwirkt es damit das Leben, das wir ihm gegeben haben. Bestimmt weißt du das.« Adrian streicht eine zerknitterte Stelle des Bettlakens glatt. »Ich habe die Meisterei vor vierunddreißig Jahren übernommen. In dieser Zeit haben drei Echos versucht wegzulaufen. Alle drei wurden getötet. Verstehst du, worauf ich hinauswill?«
»Sind Sie gekommen, um mir zu sagen, was ich schon weiß?«
Adrian hebt überrascht die Augenbrauen. »Matthew hat gesagt, du seist aufsässig. Gewöhnlich übertreibt er etwas, aber in deinem Fall hat er ins Schwarze getroffen. Man merkt, dass du seine Schöpfung bist. Kein Interesse an Regeln und leicht reizbar. Meine Echos sind in der Regel ruhiger und sachlicher, die von Elsa sanfter.«
Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll, deshalb schweige ich.
»Ophelia hat dir wahrscheinlich gesagt, dass sie mich gebeten hat, dein Leben zu schonen?«
Ich nicke misstrauisch.
»Echos sind besondere Wesen. Wir haben euch zum Leben erweckt. Davor wart ihr nichts als Staub und Knochen. Ich halte es für eine schreckliche Verschwendung, wenn euer Leben ausgelöscht wird, weil ihr zu sorglos damit umgegangen seid. Deshalb bin ich geneigt, die Bitte meiner Tochter zu erfüllen. Ich werde dich verschonen.«
Seine Stimme lässt keinen Zweifel daran, dass er jedes Wort ernst meint. Ich hole scharf Luft. Alles, was ich je über Adrian gehört habe, und alles in seiner Stimme sagt mir, dass er nicht mit mir spielt wie Matthew. Adrian ist skrupellos. Er verfolgt ein bestimmtes Ziel. Er macht das hier nicht allein, weil es ihm Spaß macht.
Und weil ich das weiß, erlischt meine Hoffnung wieder.
Ich werde dich verschonen .
»Und was wollen Sie dafür?«
»Deine Hilfe.«
»Meine Hilfe?«
»Wir haben euch geschaffen«, sagt Adrian. In seinen Augen leuchten helle Funken. »Trotzdem verstehen wir so vieles an euch noch nicht. Echos haben noch so viel Potenzial. Ich habe Leben geschaffen, aber das reicht mir nicht. Kann ich es auch verlängern? Können wir euch vollkommen machen? Ich könnte die Welt verändern, den Tod besiegen. Wenn ich mein eigenes Leben verlängern könnte, könnte ich weitere hundert Jahre arbeiten oder genauso gut tausend. Es ist undenkbar für mich, dass ich sterbe, bevor ich meine Ziele erreicht habe. Schon jetzt haben wir so viele Grenzen durchbrochen. Ich habe Staub und Knochen zum Leben erweckt. Warum nicht auch die anderen Grenzen überwinden?«
Ich will etwas erwidern, aber mir fehlen die Worte.
»Leider«, Adrian seufzt, »bin ich auf Echos angewiesen, an denen ich meine Experimente durchführen kann. Ihr lebt im Grenzbereich zwischen Leben und Tod. Du könntest mir sehr nützlich sein. Du bist jung und gesund. Wenn du mir zwei Jahre deines Lebens schenkst, vielleicht sogar weniger, könnte ich meine Studien an dir betreiben.«
Entsetzt starre ich ihn an. »Können Sie zu diesen Zwecken nicht ein eigenes Echo anfertigen?« Aber noch während ich es sage, wird mir klar, wie schrecklich das wäre. Jemanden nur als Versuchskaninchen zu erschaffen, als Material, mit dem man experimentiert.
»Das habe ich ja«, sagt Adrian mitleidlos. »Ich habe einmal eine zusätzliche Kopie eines Anderen erstellt. Die Nenneltern wussten davon natürlich nichts. Aber ein Echo zu erschaffen ist nicht ganz einfach, es ist eine zeitraubende Arbeit. Und ich muss meine Zeit für Echos wie dich sparen.« Er zuckt mit den Schultern. »Ich habe in
Weitere Kostenlose Bücher