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Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Titel: Lost Girl. Im Schatten der Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Ströle
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Bitterkeit, seinen Kummer und seine Ablehnung nicht spüren.
    Sashas Miene hellt sich auf. »Willst du, Ray?«, fragt sie. »Wir wollen Kaffee trinken und Eis essen, kommst du mit?«
    Jetzt kann er nicht mehr Nein sagen. Es verschafft mir eine gewisse Genugtuung, dass er auf das Zusammensein noch weniger Lust hat als ich. Zugleich versetzt es mir einen Stich.
    »Klar, Sasha«, sagt er nach einer kurzen Pause. »Natürlich komme ich mit.«
    Während Sasha vergnügt plappert, fahren wir zum Restaurantbereich hinauf. Ich gehe zu einem freien Tisch und vermeide es, Ray anzusehen. Er bietet an, das Eis zu zahlen. Ich bedanke mich so höflich, wie ich kann.
    »Wie waren deine Ferien bisher?«, fragt er förmlich.
    »Schön, danke. Und deine?«
    »Auch schön.«
    »Gut.«
    Ich winde mich innerlich. Ein blaues Auge wäre mir lieber als ein so dämliches Gespräch.
    »Was machst du hier?«
    »Im Einkaufszentrum?«
    »Ja.«
    »Nur so rumgehen.«
    Mich erinnern, höre ich heraus.
    »Ich musste vorhin an dich denken«, sage ich, um ihn zu erschrecken. Was auch gelingt. »Das letzte Mal war ich mit dir hier.«
    »Damals, als du mich angelogen hast«, sagt er, ohne die Stimme zu heben, um Sasha nicht zu ängstigen.
    »Ja, genau«, antworte ich ruhig.
    Ray zeigt auf Sasha. »Sie hat dich Eva genannt.«
    »Ja«, sage ich. »So heiße ich.« Ich lege den Kopf schräg. »Es scheint dich zu überraschen. Glaubst du, ich bin gern ein – wie hast du mich genannt? – ein gefühlloses, verlogenes Monster?«
    Er windet sich. »Das nehme ich zurück. Es ist mir herausgerutscht. Ich bin wütend, weil du mich angelogen hast, weil du jemand anders bist. Was du bist, ist mir egal. Das ist dir hoffentlich klar.«
    »Danke«, sage ich. »Ich weiß es zu schätzen.«
    Er kneift die Augen zusammen. »Warst du schon immer so, du weißt schon, streitlustig?«
    »Ja, ich bin jähzornig und unbeherrscht«, sage ich genervt. »Willkommen im Club derer, die mir das ständig vorwerfen.«
    Ray sieht mich abwägend an. »Ich kann auch wütend werden.«
    »Nein! Wirklich?«
    »Du hast es also schon bemerkt?« Er lächelt fast.
    »Habe ich Augen und Ohren?«
    »Amarra ist nie ausgerastet. Sie wurde zwar auch wütend und war sauer, aber auf eine ganz ruhige Art. Sie sagte dir ins Gesicht, dass du ein Idiot bist oder sie sich über etwas ärgert. Aber dazu musste einiges passieren. Sie war wie eine von diesen Kühen mitten auf der Straße, die nie die Ruhe verlieren und sich nicht einmal aufregen, wenn sie von hupenden Autos umringt sind.«
    Ich muss über den Vergleich lächeln, ob ich will oder nicht. »Amarra hätte es bestimmt gefreut, mit einer Kuh verglichen zu werden.«
    Rays Lippen zucken. »Ja, dafür habe ich einmal eine Ohrfeige bekommen.«
    Sein Lächeln vergeht wieder. Ich sehe, wie müde seine Augen blicken, und habe unwillkürlich Mitleid mit ihm.
    »Es tut mir so leid.«
    »Was denn?« Sofort ist seine Wut wieder da. »Dass sie tot ist oder das du ihr Leben gestohlen hast?«
    Das kann er mir nicht verzeihen. Sasha hebt den Kopf. Sein scharfer Ton hat sie aufgeschreckt. Ich zupfe ein wenig an einer Strähne, die ihr in die Stirn gefallen ist, um sie abzulenken. Sie lächelt ängstlich.
    »Dass sie tot ist«, beantworte ich Rays Frage. Ich klinge munter und fröhlich, nur um Sasha zu beruhigen.
    Ray schweigt.
    »Ich bin nicht so schlimm, wie du denkst.«
    »Ja, ich weiß schon, dass du nur getan hast, was du tun musstest und so weiter. Aber ich glaube trotzdem, dass wir es verdient hätten, die Wahrheit zu erfahren. Amarra ist tot.« Er zuckt zusammen. »Wir hätten ein Recht darauf gehabt zu wissen, wen wir lieben.«
    Ich laufe rot an. »Das stimmt«, gebe ich zu, »ich habe euch auch nicht gern angelogen. Aber ich habe es getan. Also, warum bist du noch hier? Du hättest dein Eis essen und gehen können. Sasha hätte das vollkommen gereicht.«
    »Weil ich dich sehen muss.« Der forschende Blick seiner Augen tut mir weh. »Du siehst genauso aus wie sie. Es ist alles, was ich noch von ihr habe.«
    »Als wir uns das letzte Mal gesprochen haben, meintest du, es würde dir zu sehr wehtun, mich anzusehen. Kannst du dich nicht entscheiden?«
    »Nein«, sagt er, »kann ich nicht. Weil es wirklich höllisch wehtut und ich es manchmal nicht aushalte. In der Schule konnte ich es nicht aushalten, mit dir im selben Zimmer zu sein, aber dich in den vergangenen Wochen überhaupt nicht zu sehen, war fast genauso schlimm.« Verloren starrt er auf sein

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