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Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Titel: Lost Girl. Im Schatten der Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Ströle
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Nikhil, wenn er wieder etwas Altkluges sagt, und sie lachen, sind fröhlich und spielen mit Sasha wie immer. Aber Sasha ist nicht dumm, sie durchschaut ihre Maskerade.
    An diesem Sonntag gehe ich mit ihr aus. Ich halte sie fest an der Hand. An der Straßenecke winke ich einer Rikscha. Sasha plappert vor Aufregung ununterbrochen.
    »Du bestimmst wohin, Sasha«, sage ich.
    Sie blickt unschlüssig zu mir auf. »Egal was?«
    »Egal.« Ganz wohl ist mir dabei allerdings nicht. Wenn sie den Zoo von Mysore vorschlägt, sitze ich in der Klemme. Nach Mysore sind es drei Stunden.
    »Mittagessen!«
    »Sonst nichts? Mittagessen?«
    Sasha nickt eifrig und ich muss lächeln. Sie hätte alles haben können und sie hat sich für ein einfaches Mittagessen entschieden. Es ist noch gar nicht lange her, da war ein Ausflugtag auch für mich ein echtes Highlight. Ich höre ein Lachen und ein Junge sagt, ich bräuchte mich nicht zu schämen. Grüne Augen blitzen auf. Sean. Ich schlucke und schiebe die Erinnerung beiseite.
    In Gedanken gehe ich die Restaurants durch, die ich kenne, und entscheide mich für einen Chinesen in der Church Street. Sasha isst für ihr Leben gern chinesisch.
    Ich habe die Katastrophe schon über mich hereinbrechen sehen. Ich dachte, Alisha würde wütend auf mich sein, wenn sie erkennt, dass Amarra für immer fort ist. Aber sie trauert nur. Ich habe erwartet, dass sie oder Neil beschließen würden, mich zurückzugeben, aber jetzt sind über zwei Wochen vergangen und sie haben mit keinem Wort von einem Schlafbefehl gesprochen. Vielleicht wollen sie mich doch nicht loswerden, nachdem sie mich schon so viele Monate kennen.
    Trotzdem ist es aufreibend, die ganze Zeit zu Hause herumzusitzen, der Tag in der Stadt ist deshalb für mich genauso entspannend wie für Sasha.
    Nach dem Essen spazieren wir durch die Straßen mit ihren Läden und Händlern und landen schließlich vor der Garuda Mall. Ich muss an mein erstes Treffen mit Ray denken, folge Sasha aber dennoch willig nach drinnen. Sie fährt so gerne Rolltreppe. Ich kaufe ihr einen Lutscher und sie verspricht mir dafür fest, dass sie mit mir in die Buchhandlung kommt und auch nicht quengelt, weil ihr langweilig ist. Ich tauche in die Regale und den Geruch des Papiers ein und versinke so sehr in der Welt der Bücher, dass ich das Verschwinden meines Schützlings erst bemerke, als es zu spät ist.
    Sasha ist nirgends zu sehen und ich bekomme einen Schreck. Aufgeregt blicke ich in alle Richtungen, kann sie aber nirgends entdecken.
    »Sasha!«, rufe ich. »Sasha, wo bist du?«
    Als ich sie schließlich beim Regal mit den Bestsellern finde, werde ich vor Erleichterung fast ohnmächtig. Dann erst sehe ich, dass sie nicht allein ist. Neben ihr steht ein Junge mit dunkelbraunen Augen. Auf die Brusttasche seines T-Shirts sind französische Wörter aufgedruckt. In mir verkrampft sich alles.
    »Sieh mal, wen ich getroffen habe, Eva«, sagt Sasha fröhlich und hält Rays Hand fest.
    Ich zwinge mich zu einem Lächeln. »Na, das ist aber eine schöne Überraschung«, sage ich und hoffe, dass Ray die beißende Ironie in meiner Stimme hört.
    Seiner Antwort nach zu schließen ist das der Fall. »Du solltest besser auf Sasha aufpassen«, sagt er. »Du willst ihren Eltern doch nicht erklären müssen, dass sie noch ein Kind verloren haben.«
    »So was auch nur zu denken ist geschmacklos«, fahre ich ihn an. »Komm, Sasha, wir gehen.«
    »Sasha will noch nicht gehen«, erwidert Ray wütend und hebt wie zum Beweis die Hand hoch, an der sie ihn hält.
    »Provozier mich nicht, Ray.«
    »Sonst passiert was?« Er lenkt ein wenig ein. »Tut mir leid, was ich gesagt habe. Das war unfair. Aber du könntest wenigstens um Sashas willen nett zu mir sein.«
    »Natürlich«, sage ich bitter, »jetzt bin ich wieder schuld.«
    Ich sehe ihn wütend an, werde aber zugleich rot, weil er Recht hat. Es ist nicht fair, Sasha Angst zu machen. Immerhin spricht es für Ray, dass sie sich freut, ihn zu sehen. Aber er ist nicht mehr der lächelnde Junge von dem Foto. Der Junge, der vor mir steht, ist todunglücklich und verzweifelt.
    Sasha blickt ängstlich zu mir auf und nimmt mit ihrer freien Hand meine Hand, als wollte sie zeigen, dass sie mich genauso mag wie Ray. Die Geste beschämt und rührt mich und ich seufze und lächle sie an.
    »Frag Ray doch, ob er mit uns mitkommen will«, schlage ich vor. Es fällt mir unendlich schwer, das zu sagen. Ich will nicht mit Ray zusammen sein, ich will seine

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