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Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Titel: Lost Girl. Im Schatten der Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Ströle
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sterben oder so was, du würdest nur anders sein. Sie meinte, wenn alles klappt, würde Amarra aufwachen und du hättest deine Bestimmung erfüllt. Du wärst vollendet.«
    »Ich habe den Eindruck, diese Frau tickt nicht ganz richtig«, erwidere ich heftig. »Ich glaube, ich wüsste es, wenn noch jemand anders meinen Körper mitbenutzt.«
    »Wie denn? Du hast doch gesagt, du hättest Amarra schon immer in dir, zumindest einen Teil. Vielleicht fühlt es sich gar nicht so anders an …«
    »Hör auf! Es geht nicht. Und selbst wenn, klingt es für mich keineswegs nach Vollendung. Es klingt, als würde ich den Meistern zwar entkommen, aber trotzdem sterben. Ich will aber nicht einfach beiseitetreten und mich opfern, damit Amarra ein zweites Leben bekommt. Für manche Menschen würde ich alles geben, aber nicht für sie.«
    »Du wurdest dazu geschaffen, damit sie eine zweite Chance hat!«
    »Sie wollte sie aber nicht!« Ich habe die Stimme ebenfalls erhoben. Einige Passanten sehen uns an, aber es ist mir egal. »Sie wollte mich loswerden, schon vergessen? Ich bin ihr nichts schuldig. Sie wollte das eine Leben und das hat sie gehabt. Du liebst sie, du willst sie wiederhaben und ich verstehe das, aber das hier«, ich hebe die Hände hoch, »das gehört mir. Das bekommst du nicht.«
    Ich drehe mich um und laufe weg. Diesmal hält Ray mich nicht auf. Er bleibt in der prallen Sonne auf dem Gehweg stehen und sieht mir erschrocken und traurig nach.

14. Judas
    M it der Auseinandersetzung auf dem Gehweg endet unsere letzte »Zufallsbegegnung«. Wir haben auch keine gemeinsame Prüfung mehr bis zur Klausur in englischer Literatur Anfang Juni. Es ist für die meisten von uns die letzte Prüfung. Bei dieser Gelegenheit sehe ich Ray zum ersten Mal wieder.
    Immer wenn ich an seine Worte von dem letzten Treffen denke, kommen Wut und Traurigkeit wieder in mir hoch. Aber ich habe auch Gewissensbisse, weil ich ihn so schroff zurückgewiesen habe. Ich hätte die Ruhe bewahren und ihm zuhören und besser erklären müssen, um was es mir geht.
    Wie kann ich Ray dafür verurteilen, dass er sich an abstruse Ideen klammert, wenn ich mir selbst die verrücktesten und abwegigsten Pläne ausdenke, um dem Schlafbefehl zu entkommen?
    Ich sehe ihn vor dem Prüfungszimmer stehen. Er wirkt nicht besonders erfreut, ist aber auch nicht gänzlich abweisend. Ich bin seine Launen gewöhnt, aber heute zieht er den Kopf ein, als wehte trotz des Sommertags ein kalter Wind. Ich achte nicht weiter auf ihn und wir betreten den Klassenraum.
    Die Prüfung geht besser, als ich erwartet habe. Es tut mir sogar richtig gut, alles um mich herum zu vergessen und mich stattdessen auf Lady Macbeth, Heathcliff und Cathy und Keats zu konzentrieren.
    Als wir die Schule anschließend verlassen, hüpft Lekha um mich herum und singt leise etwas von Ferien und Freiheit und dem Ende aller Prüfungen.
    »Hey!«, ruft Ray und kommt hinter Lekha auf mich zu. »Sonya gibt zur Feier des Tages heute Abend auf der Farm ihrer Eltern eine Party. Alle sind eingeladen. Kommt ihr auch?«
    »Ich glaube nicht, dass ich auch eingeladen bin«, erwidere ich.
    Ray schüttelt den Kopf. »Sie sagte, du könntest kommen, wenn du Lust hast. Ich soll dir das ausrichten.«
    Lekha zieht die Augenbrauen hoch. »Und woher dieser plötzliche Sinneswandel?«
    »Keine Ahnung. Also, kommt ihr?«
    »Ich kann nicht«, sagt Lekha enttäuscht. »Ich fahre mit meiner Mutter über das Wochenende weg. Das habe ich doch schon letzte Woche gesagt«, fügt sie hinzu, als wäre Ray dafür persönlich verantwortlich.
    Ray zuckt mit den Schultern. »Schon, aber selbst wenn ich ihr das gesagt hätte, hätte das ihre Pläne nicht geändert. Du weißt ja, was sie von mir hält. Sie würde mir zuliebe keinen Finger krumm machen.«
    Lekha seufzt. »Schade. Du musst mir später alles erzählen. Merk dir bitte den ganzen Klatsch und Tratsch, es sei denn, er betrifft Sam, dann interessiert er mich nicht. Gehst du hin, Eva?«
    »Ich glaube nicht. Liegt die Farm nicht irgendwo außerhalb?«
    »Ich kann dich mitnehmen«, bietet Ray an.
    Ich runzle die Stirn. »Warum?«
    »Als Entschuldigung für neulich?« Er wirft Lekha einen Blick zu. Die rollt mit den Augen und entfernt sich genau sechs Schritte von ihm. Ich unterdrücke ein Lächeln. Ray sieht mich unglücklich an. »Ich hätte das alles nicht sagen sollen.«
    »Ist schon okay. Ich wollte mich auch gar nicht so aufregen.«
    »Dann lass es mich wiedergutmachen. Wenn wir zur Party

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