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Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Titel: Lost Girl. Im Schatten der Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Ströle
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meine Gedanken wie in einem Ballsaal. Der Saal ist in glänzendem Silber gestrichen, der Farbe des Himmels von Bangalore nach dem Regen. Er ist von Engeln und Monstern bevölkert, von Seans und Rays, Echos, Anderen, Vormunden, Meistern, Jägern und Familien, die verzerrt in zerbrochenen Spiegeln zu sehen sind, und sie alle tanzen miteinander durch den Saal. Ich schlafe an diesem Abend rasch ein. Das Durcheinander in meinem Kopf ist so anstrengend, dass ich keine Kraft mehr habe.
    In den nächsten Wochen begegne ich Ray so oft, dass es kein Zufall sein kann. Ich sehe ihn bei den Prüfungen, aber auch an Orten, die ich häufig aufsuche. Ich frage mich, ob er kommt, weil er mich sehen will. Oder sie.
    »Er hat sie geliebt, aber auch begehrt«, sagt Lekha einmal mit gedämpfter Stimme, als spräche sie über den größten Skandal des Jahrhunderts. »Du siehst aus wie sie. Es muss schwer für ihn sein, jetzt dich zu begehren.«
    »Ich glaube nicht, dass er das tut.«
    »Was du glaubst, ist egal«, erwidert Lekha. »Es zählt viel mehr, was ich sehe. Und darin bin ich« – sie zwinkert, weil eine ihrer Kontaktlinsen verrutscht ist – »Expertin. Wenn ich mal wieder bei einer eurer ›Zufallsbegegnungen‹ dabei bin, werde ich mehr darüber herausfinden. Und dann sage ich dir, woran du bist«
    Nach unserem nächsten Treffen mit Ray sagt Lekha: »Es ist sehr kompliziert.«
    »Nein, wie kommst du denn da drauf?«, sage ich bitter.
    Ray und ich verbringen viel Zeit miteinander. Er wird nicht mehr so wütend. Wir streiten uns zwar noch oft, aber da ist kein Hass mehr, und wir reden viel, meist über Amarra.
    »Hast du sie gemocht?«
    Neugierig wartet er auf meine Antwort. Wir gehen nach einer Prüfung zum Schultor. Ray hat angeboten, mich nach Hause zu fahren.
    »Nein«, sage ich wahrheitsgemäß, »nicht besonders. Ich hatte immer das Gefühl, sie wollte mich absichtlich ärgern, wenn sie zum Beispiel im Winter schwimmen ging oder sich ein Tattoo stechen ließ. Jedenfalls war das mein Eindruck. Ich habe das Schlechte in ihr zum Vorschein gebracht.«
    »Ja, das glaube ich auch«, meint Ray. »Sie war ein erstaunliches Mädchen. Sie brauchte nur zu lächeln und schon ging es mir besser. Du hast sie verunsichert und ihr Angst gemacht.« Er lächelt wehmütig. »Komisch, aber ich muss gerade daran denken, wie sie ihre Äpfel vor dem Essen immer gewaschen hat. Ich weiß natürlich, dass man das tun sollte, aber sie war die Einzige, die ich kenne, die es tatsächlich immer gemacht hat. Ich habe sie ausgelacht, aber sie sagte, wenn ich so blöd sei, einen Wurm oder Spuren von Hundekacke zu essen, würde sie es deshalb noch lange nicht tun.« Er tritt gegen einen Stein auf dem Boden. »Jetzt wasche ich die dummen Äpfel auch immer.«
    Bei anderen Gelegenheiten fragt er mich nach meiner Kindheit oder meinen Vormunden. Er will wie Lekha genau wissen, wie es war, als Echo aufzuwachsen, und ich erteile ihm bereitwillig Auskunft. Es ist schön, in die Vergangenheit einzutauchen, das kalte Wasser des Sees an den Fingern zu spüren und an einem kühlen Nachmittag den Duft von Mina Mas Tee einzuatmen. Ich erzähle ihm von Sean. Dass er – im Gegensatz zu Ray, Sonya und Sam – meinte, ich müsste mich für das, was ich bin, nicht schämen. Und dass er mich in den Zoo mitgenommen hat und ich dort einem kleinen Elefanten namens Eva begegnet bin.
    Ray runzelt die Stirn und seine Miene gibt ausnahmsweise einmal nichts preis. »Habt ihr miteinander …«
    »Nein«, falle ich ihm ins Wort. »Das ist verboten.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass dich das gehindert hätte«, sagt Ray, womit er Recht hat. »Mich hätte es jedenfalls nicht gehindert und in dieser Hinsicht scheinen wir uns ziemlich ähnlich zu sein.«
    »Es hätte mich das Leben kosten können«, erwidere ich. »Deshalb wollte Sean es nicht.«
    »Aber du wolltest es …«
    »Ich will nicht darüber reden«, sage ich bestimmt. »Warum interessiert dich das überhaupt?«
    Ray wird wütend. »Es interessiert mich gar nicht.«
    Einige Tage später, im Coffee Day, frage ich ihn etwas, was ich schon lange wissen will.
    »Warum hat Amarra sich ein Tattoo stechen lassen?«
    »Du findest, dass sie nicht der Typ dafür war? War sie auch nicht. Sonya wollte es zuerst nicht glauben und ihre Mutter kippte fast um, als sie es sah.«
    »Warum hat sie es dann machen lassen? Warum die Schlange?«
    An Rays Zögern merke ich, dass Amarras Tattoo mehr mit mir zu tun hat, als ich dachte. »Sie

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