Lost Land, Der Aufbruch
presste einen Finger an die Lippen und bedeutete ihm, leise zu sein. Zu beiden Seiten des Weges erhoben sich Bäume wie dunkle Säulen und bildeten mit ihren belaubten Ãsten ein Dach, durch das nur gelegentlich ein Sonnenstrahl fiel. Unten auf dem Waldboden drängten sich Büsche und Wildpflanzen zu einer undurchdringlichen Wand um die Baumstämme. Benny konnte nicht erkennen, was da auf sie zukam. Er und Chong zogen ihre Holzschwerter und stellten sich mit dem Rücken aneinander, wie Tom es ihnen beigebracht hatte.
Lilah kam auf leisen Katzenpfoten den Pfad hinuntergeschlichen und Nix folgte nur ein paar Meter hinter ihr. Das Verlorene Mädchen hatte ein kämpferisches Funkeln in den Augen, als sie zu Tom aufschloss und darauf achtete, genügend Abstand zu seinem Schwertarm zu halten. »Was ist los?«, zischte sie. »Die Toten?«
Tom schüttelte den Kopf, schwieg aber.
Nix schloss zu Benny und Chong auf und die drei positionierten sich zu einer dreiseitigen Kampfformation.
»Könnt ihr was sehen?«, flüsterte Nix.
»Nein«, antwortete Chong. »Und auch nichts hören.«
Der Wald war wirklich so verschwiegen wie ein Grab â ein Bild, das nicht gerade dazu beitrug, dass Benny sich wohler fühlte. Er schnupperte. Hier im Wald gab es Tausende von Düften. Blumen, Baumrinde, feuchte Erde und â¦
Und was?
Es lag noch ein weiterer Geruch in der Luft â zwar schwach, doch er wurde immer intensiver.
»Riecht ihr das auch?«, murmelte Benny.
»Ja«, bestätigte Nix. »Riecht merkwürdig. Irgendwie vertraut ⦠aber dann auch wieder nicht.«
Lilah hob ihren Speer und zeigte mit der glänzenden Klinge auf den Wald. »Da. Es kommt auf uns zu.«
»Was ist das?«, fragte Nix ängstlich.
Tom zog sein Katana. »Haltet euch bereit.«
»Wofür?«, wollte Benny wissen. »Zum Kämpfen oder Wegrennen?«
»Das werden wir gleich wissen«, teilte Tom ihm mit.
»Bitte lass es keine Zoms sein«, murmelte Chong.
»Nein«, beruhigte Tom ihn, »es sind nicht die Toten. Was immer da kommt, ist äuÃerst lebendig.«
Und im nächsten Moment hörten Benny und die anderen es: ein Knirschen, als etwas Schweres auf herabgefallene Zweige trat, gedämpft durch den fast verrotteten Laubteppich des letzten Jahres. Kurz darauf war ein anderes, leises, seltsames Geräusch zu hören. Benny und Nix schauten einander an.
Sie hob die Augenbrauen. »Hört sich an wie ein Stier«, meinte sie.
Benny runzelte die Stirn. »Hier drauÃen?«
»Hier laufen viele Tiere frei herum«, erklärte Tom. »Vor der Ersten Nacht gab es hier etliche Farmen.«
Wieder das Geräusch, nur tiefer und lauter.
»Furchtbar groÃer Stier«, bemerkte Chong.
Weiteres Knacken von Zweigen â immer lauter und näher.
»Sollten wir nicht ⦠äh ⦠weglaufen?«, schlug Chong vor.
»Klingt nach einem guten Plan«, pflichtete Benny ihm bei.
Doch Lilah fauchte sie an, sie sollten still sein, und fügte hinzu: »Weglaufen macht dich zur Beute. Es ist besser zu kämpfen, als gejagt zu werden.«
Tom öffnete den Mund, vermutlich, um ihrer einseitigen Sichtweise etwas entgegenzuhalten. Aber dann ertönte ein lautes Schnauben und Grunzen, als etwas gigantisch GroÃes durch die Wand aus Schlingpflanzen und Sträuchern brach, diese wie ein Spinnennetz zerriss und aus dem Wald hinaus auf die StraÃe preschte. Dann blieb das Wesen keine 30 Meter von Benny, Nix und Chong entfernt mitten auf dem Weg stehen und witterte angespannt.
Vor ihnen stand ein Ungeheuer. Schiefergrau, mit schwarzen Augen, vier kurzen Beinen und je drei Zehen an jedem seiner FüÃe, die wiederum gröÃer waren als Bennys Kopf. Sein Brustkorb war gewaltig, und seine Schultern lieÃen sich mit nichts vergleichen, was Benny je leibhaftig gesehen hatte. Natürlich kannte er diese Kreaturen aus Büchern, aber bisher hatte er immer angenommen, derartige Lebewesen würden einem anderen Zeitalter angehören.
»Oh, mein Gott«, wisperte Nix und schlug sich dann sofort die Hand vor den Mund, als das Monster seinen enormen Kopf zu ihr drehte.
Es war mindestens dreimal so groà wie der gröÃte Stier in Mountainside. Benny erinnerte sich, dass er etwas darüber gelesen hatte: das zweitgröÃte Landsäugetier der Welt nach dem Elefanten. Insgesamt
Weitere Kostenlose Bücher