Lost on Nairne Island
wirkten dunkel und ausdruckslos, als wären sie mit schwarzem Edding übermalt worden. Sie machte einen Schritt nach vorn und riss ihren Mund weit auf. Falls sie ein Geräusch von sich gab, hörte ich es nicht, weil mein eigener Schrei alles übertönte. Es blitzte erneut, und gleich darauf war sie wieder verschwunden. Ich schloss die Augen und schrie abermals.
Die Tür zu meinem Zimmer flog auf und das Licht ging an. Nathaniel kam reingestürmt, nur mit Boxershorts bekleidet. Er atmete heftig. Auch wenn ich zu Tode verängstigt war, entging mir nicht, dass er einen recht ansehnlichen Körper unter seinen Designerjeans und Button-down-Hemden verborgen hatte. Dick und Mom tauchten kurz nach ihm auf. Sie hatten sich ihre Morgenmäntel übergezogen. Nicht, dass ich es unbedingt hätte wissen wollen, aber Dick sah angezogen wesentlich besser aus als jetzt.
»Was in aller Welt?« Dick drängte sich an Nathaniel vorbei und schloss das Fenster.
»Alles in Ordnung?« Mom kam an mein Bett geeilt und griff nach meiner Hand.
»Da war ein Mädchen«, stammelte ich.
»Ein Mädchen?« Mom warf Dick einen Blick zu, als erwarte sie eine Erklärung von ihm.
Ich deutete auf die Stelle, wo ich sie gesehen hatte. »Ich bin aufgewacht, und da war sie plötzlich. Sie stand einfach so da.«
»Klingt fast so, als hätte da jemand zu viel SüÃes zum Nachtisch gegessen«, sagte Dick kichernd, doch seine Mundwinkel zeigten eher nach unten. »Ein verdorbener Magen sorgt gern mal für Albträume. Vermutlich hat der Wind das Fenster aufgestoÃen, und dann hast du gesehen, wie sich der Vorhang bewegt hat. Weil du noch nicht ganz wach warst, hat dir deine Fantasie einen Streich gespielt. Dein neues Zuhause hat dir wohl ein bisschen Angst eingejagt.«
Auf Moms Gesicht zeichnete sich Erleichterung ab. Sie tätschelte beruhigend meinen Arm. Dick lächelte, als hätte er bei Wer wird Millionär? soeben die richtige Antwort auf eine Frage gewusst. Ich war noch nicht ganz überzeugt. Eine durch fettiges Essen verursachte Halluzination stellte ich mir anders vor. Zugegeben, vielleicht war ich anfangs nicht ganz bei mir gewesen, aber als meine FüÃe dann den Boden berührten, hätte ich schwören können, dass ich hellwach war.
Dann fiel mir noch etwas anderes auf. »Das Licht war aus. Ich habe es nicht ausgeknipst.«
»Das war ich«, erklärte Nathaniel. »Ich bin vor ein paar Stunden hochgekommen, um mit dir zu reden, aber da hast du schon geschlafen. Ich hab dich zugedeckt und bin wieder gegangen.«
Ich war mir echt nicht sicher, ob ich es eher unheimlich oder doch total aufregend finden sollte, dass Nathaniel mich schlafend gesehen hatte. Gott, ich hoffe nur, dass ich nicht mit offenem Mund dagelegen und gesabbert habe.
Mom bemerkte meinen Skizzenblock auf dem Boden und schnappte ihn sich. »Hast du gezeichnet?«, wollte sie wissen.
»Ist nur eine Skizze, Mom.« Bei ihr klang das so, als hätte sie mich dabei erwischt, wie ich mir auf meinem Zimmer einen Joint drehte oder anzügliche Fotos von mir im Internet postete. Sie hätte mir zwar nie direkt verboten zu zeichnen, aber sie hatte mir deutlich zu verstehen gegeben, dass ihr jedes andere Hobby lieber wäre, zur Not sogar ein paar Drogen zur Entspannung. Denn eine Sucht war etwas, womit sie umgehen konnte, die Kunst jedoch hielt sie für unberechenbar.
»Ich dachte, wir hätten bereits darüber gesprochen, dass du dich mehr auf deine Hausaufgaben konzentrieren sollst. Kunst ist kein nützlicher Zeitvertreib.«
»Du findest also, ich sollte meine ganze Freizeit damit verbringen, für Physik zu büffeln?«
»Jetzt werde bloà nicht frech!«, sagte sie drohend, taub auf beiden Ohren für meine Ironie.
»Also bitte, jetzt machen wir doch aus einer Mücke nicht gleich einen Elefanten«, mischte Dick sich ein. »Verständlich, dass alle ein wenig angespannt sind, ist ja auch mitten in der Nacht. Wenn Isobel gern mit ihren Stiften herumkritzelt, dann ist das doch prima. Die Schule fängt ja erst am Montag an, da bleibt ihr noch reichlich Zeit, sich mit Büchern zu beschäftigen. Aber jetzt wollen wir alle wieder schlafen gehen und uns morgen weiter unterhalten.«
Ich hätte echt nicht sagen können, was schlimmer war: dass sich Dick tatsächlich für mich einsetzte oder dass er gesagt hatte, ich würde
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