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Lost Place Vienna (German Edition)

Lost Place Vienna (German Edition)

Titel: Lost Place Vienna (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lost Place Vienna
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nach Untergrund war mindestens ein gebrochener Knöchel sicher.
    Valentina hangelte sich von der Sprosse zu den Seitenstangen der
Leiter. Ihnen vertraute sie mehr. Aber es kostete zu viel Kraft, sich so zu
halten. Gleich würden ihre Füße die nächste Stange ertastet haben, dann stünde
sie wieder sicher. Aber auch sie knickte ein. Valentina konnte einen kurzen
Schrei nicht unterdrücken; dabei öffnete sie den Mund zu weit, sodass ihr die
Taschenlampe entglitt und in die Tiefe stürzte.
    Sie hatte keine Zeit, ihr nachzutrauern, sondern zog sich mit
letzter Kraft ein weiteres Stück an den Außenstangen nach oben. Auch die Füße
setzte sie nun nicht mehr auf die Sprossen, sondern klemmte sie von außen an
die Stangen der Leiter. Wie eine Raupe schob sie sich Stück für Stück nach
oben.
    Endlich hatte sie das Plateau erreicht. Eine rostige Stahlplatte,
die an einer Eisentür endete. Valentina tastete die Tür nach einem Griff ab und
fand einen Knauf. Man konnte ihn drehen. Sie tat es und zog die Tür zu sich.
Schwaches Licht schimmerte heraus.
    Valentina zögerte. Sie musste erst zu Atem kommen. Wenn ihr der
Sauerstoff fehlte, dachte sie nicht rational, sondern handelte nur instinktiv.
    Sie öffnete die Tür erneut und spähte durch den Spalt. Das spärliche
Licht drang von weit hinten flackernd zu ihr; es musste von einem Feuer oder
von Kerzen stammen.
    Sie zog die Tür so weit auf, dass sie sich durch den Spalt drücken
konnte, dann schloss sie sie, so leise sie es vermochte. Das ferne Licht schien
zu leiser Musik zu tanzen. Kadenzen und Melodie waren nicht auszumachen. Dafür
war die Musik zu weit weg, ebenso fern wie das Licht.
    Selbst wenn Umkehr eine Alternative gewesen wäre, jetzt hätte sie es
nie und nimmer getan. Der Sog von Licht und Musik übte einen magnetischen Zwang
auf sie aus. Mit jedem Schritt, den sie machte, wuchs der Drang, ihnen zu
begegnen, sie zu entschlüsseln, sich mit ihnen bekannt zu machen. Hinter ihr
lagen Finsternis und Schweigen, vor ihr Helligkeit und Klang. Wer hätte da
gezögert?
    Jetzt erkannte sie die Melodie, erschrak und war dennoch entzückt.
Es war die Tonfolge, zu der sie einen neuen Liedtext gefunden hatte; als sie
mit dem Fahrrad zum letzten Fundort über die Floridsdorfer Brücke gefahren war.
    »Von der Floridsdorfer Brücke,
    da klafft mir eine Lücke,
    habe ich ihn nun erstochen,
    oder habe ich nur erbrochen,
    all den Fusel, den ich soff,
    der mir aus dem Maule troff,
    war es nur aus Rache,
    längst abgemachte Sache?« , sang
sie. Erst leise, dann immer lauter und selbstbewusster. Je näher sie der Quelle
kam, umso mehr wandelte sich ihre Furcht wieder in Kampfeslust. Ihr Lied wurde
ihr zur Hymne, sie war bereit, alles auf eine Karte zu setzen.
    Es mochten an die fünfhundert Kerzen sein, die das Gewölbe erhellten
und zu der Musik die Flammenköpfe wiegten. Inmitten der Kerzen, auf einem
Barhocker, saß eine Gestalt, eine Gitarre auf dem Schoß. Es war Valentinas neue
Strat. Und es war eine Neutralmaske, die die unbekannte Gestalt vor dem Gesicht
trug.
    Es war ein Mann unter der Maske, das konnte Valentina an der Statur
erkennen. Er legte die Gitarre zur Seite, blieb aber auf seinem Barhocker
sitzen und sah sie an. Valentina erwiderte den Blick.
    Die Maske begann sich unmerklich zu bewegen, sie wurde langsam
beseelt und fing an zu leben. Der Spieler darunter verstand sein Handwerk. Es
war nicht leicht, die Larve zu bespielen. Die meisten zogen Grimassen dahinter
und glaubten, den Mummenschanz auf das neutrale Leder übertragen zu können.
Aber das war ein Irrtum. Man musste sie von innen heraus zum Leben erwecken,
mit dem Bauch, mit der Seele. Das mochte für den Laien wie der Ritus eines
exotischen Volksstammes klingen, aber anders konnte Valentina es nicht
beschreiben. Man musste mit der Maske arbeiten, sie erleben, um ihre Funktion
verstehen zu können.
    Und der unbekannte Spieler vor ihr hatte mit ihr gearbeitet und
hatte sie durchdrungen bis in die letzte Pore. Was Valentina zu sehen bekam,
grenzte an ein Wunder der Spielkunst. Äußerlich betrachtet tat der Spieler
überhaupt nichts. Aber er wagte das Größte, dessen ein Spieler überhaupt fähig
sein konnte: Er ließ zu. Sonst nichts. Das Leder wurde weich, die Neutralität
wich, und Charaktere formten sich heraus: Zirner, Amre, Adler, die drei Frauen.
Valentina sah sie alle auf der ledernen Larve. Sie lächelten ihr zu, erzählten
ihr, dass sie gerne für sie gestorben seien, um ihr dadurch den rechten

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