Lost Place Vienna (German Edition)
nur
abgebissen und geschluckt, kaum gekaut.
»Wo ist sie hin?«, fragte er.
»Da rein.« Werner zeigte in Richtung Buchhandlung. »Ich bin nicht
hinterher. Ich wusste nicht, ob es dort drin zu eng ist. Sie hat mich bestimmt
schon in der Bim gesehen. Da wollte ich nichts riskieren.« Er trank aus der
zweiten Flasche. Diesmal dezenter. »Schnappt ihr sie mit großem Aufgebot?«,
fragte er dann.
»So leise wie möglich. Am liebsten wäre es mir, wenn wir sie hätten
und die Presse erst mal nichts davon wüsste«, sagte Parizek mehr für sich. »Ich
meine es ernst. Niemand darf erfahren, dass wir sie schnappen«, setzte er nach.
»Auch meine Kollegen nicht. Hast du kapiert?«
Werners Augen begannen zu tanzen; er suchte offenbar nach einem
Gedanken, an dem er sich festhalten konnte.
»Ich bin Informant, weiter nichts«, sagte er dann und lächelte
devot.
Parizek nahm einen Schluck Spritzer und ließ sich Zeit, ehe er
schluckte. Sein Plan war gut, aber gefährlich. Er würde zwei Seiten an den
Hacken haben. Aber er würde auch von beiden Seiten kassieren können. Saß er
jetzt nicht auch längst zwischen zwei Mühlsteinen, die nur darauf warteten, ihn
zwischen sich zu zermalmen? Und dabei war er ihnen noch nicht einmal etwas
wert. Er wurde einfach nur so aufgemischt. Zerrieben wie eines unter Milliarden
Weizenkörnern.
»Noch zwei Schnäpse«, orderte er.
* * *
Sie war in dem Buchladen verschwunden. Ob es einen Hinterausgang
gab, wusste Alberto nicht.
Er mochte keine Bücher. Alte schon gar nicht. Am liebsten waren sie
ihm, wenn sie frisch verschweißt in Folie steckten und ihren Unsinn für sich
behielten.
»Ein Buch atmet. Versuchen Sie im selben Rhythmus zu atmen wie das
Buch, und sie haben eine Geliebte, der kein Weib das Wasser reichen kann.«
Alberto drehte sich nach der Stimme um. Ein faltiger Alter mit
wirrem grauen Schopf lächelte ihn an.
»Ein Buch, das atmet, stiehlt mir die Luft und lässt mich ersticken.
Und bei den Weibern ist es ähnlich«, gab Alberto zurück. »Haben Sie in Ihrem
Laden auch was Neues, was Verschweißtes?«
»Tut mir leid, wir führen nur Bücher, in denen bereits gelesen
wurde.«
»Kann ich mich trotzdem mal umsehen?«
»Wenn Sie daran nicht ersticken? Gerne.«
Der Alte ließ Alberto vorbei und folgte ihm. Alberto hörte das
Schlurfen hinter sich. Alte Bücher und schlurfende Sohlen, ein Gräuel. Da war
der Tod nicht weit.
»Deutsch, wo kommen die hin?«, rief ein dürrer Langer mit der Nase
eines Geiers hinter einem Regal hervor. Es war der Kerl, der mit Valentina vor
dem Buchladen gesprochen hatte. Alberto konnte nicht genau erkennen, ob er das
oberste Buch des Stapels mit dem Kinn oder mit dem Haken seiner Nase klemmte.
»Sind das die Kochbücher?«
»Ja.«
»Verbrenn sie!«, lachte Deutsch. Der Geier stieß einen Schrei aus,
der ebenfalls in die Richtung eines Lachens tendierte. Alberto fand es nicht
lustig. Musste ein Insiderwitz sein.
»Die einzigen Bücher, die Hitler nicht hat verbrennen lassen, waren
Kochbücher. Dabei sind es doch gerade die Essgewohnheiten, die die Menschen
ausmachen.«
Alberto sog den Duft eines Sugos ein, der mit Oregano, Knoblauch und
Thymian gewürzt über einer Gasflamme brodelte. Er hatte es immer gemocht, wenn
die Tomatensoße Bläschen warf. Erst dann hatte seine Mutter den Thunfisch
hinzugegeben. Er hatte genascht, und sie hatte ihn am Ohr gezogen und gelacht,
weil er es nicht abwarten konnte, bis die Spaghetti gekocht waren.
»Wer kocht hier?«, fragte er. »Das riecht wie zu Hause.«
Der Alte lächelte. »Das ist unser Mittagessen. Herr K. kocht
leidenschaftlich gerne. Er liebt Kochbücher. Und er testet sie. Jeden Tag ein
anderes Rezept aus einem anderen Land. Heute ist Italien dran. Wir überprüfen
die Gerichte auf Einfachheit. Ohne Schnörkel. Ein gutes Gericht ist wie ein
guter Text: schlicht. Das ist nicht leicht, aber Herr K. hat schon einige
Rezepte gefunden, die es mit Literatur aufnehmen können. Unser Plan ist es, ein
globales Kochbuch zu schreiben, das sich in der Rezeptur mit einem
literarischen Stoff der jeweiligen Gegend ergänzt. Es darf aber nicht irgendein
Text sein, sondern muss im Rhythmus mit dem Gericht korrespondieren, verstehen
Sie?«
Alberto verstand nur, dass der Alte mächtig einen an der Waffel
hatte. Trotzdem bekam er Appetit, als eine weitere Schwade der Tomatensoße aus
der Kammer herüberzog, die wohl als Küche herhalten musste. Es war die einzige
Tür, die außer dem Eingang aus dem
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