Lost Place Vienna (German Edition)
Gläser. Sie griff die
beiden Gläser und verließ die Küche, um die Tür zu öffnen.
Sie erstarrte. Vor ihr stand nicht Valentina, sondern Stefan und
lächelte sie verklemmt an.
Die beiden Sektgläser zerklirrten auf dem Parkett.
* * *
Der Fundus stank nach billigem Parfüm und Mottenkugeln. Auch
angetrocknetes Bier glaubte Valentina aus dem Duftgemisch zu filtern. Es ekelte
sie vor jedem Fetzen, an dem Amre sie vorbeiführte.
»Hast du mal wieder ein Konzert?«, fragte er, während er zwei
Kleiderständer zur Seite schob, um den Durchgang zu den Regalen mit den
Requisiten zu schaffen.
»Zu Weihnachten wollen wir in zwei, drei Clubs spielen«, antwortete
Valentina.
»Warum spielt ihr nicht hier? Die Jungs mögen Maskenspiele!« Er
deutete auf ein Bord, gefüllt mit Latexmasken der groben Art.
Valentina fügte sofort den Schweiß, der aus den Innenseiten der
Masken kroch, in das Duftpotpourri ein und kämpfte gegen einen zwingenden
Brechreiz an.
»Keine Sorge, ich kann schweigen wie ein Grab«, sagte Amre mit einem
Unterton, der Valentina nicht gefiel. »Außerdem gibt es wohl Gefährlicheres als
das Outing einer Inspektorin, die Heavy Metal rockt.«
»Und das wäre?«
»Eine Inspektorin, die wegen Mordes an ihrem Kollegen gesucht wird.«
Valentina sah ihn eindringlich an. »Kam es in den Nachrichten?«,
fragte sie.
»Aber nein. Offiziell fahndet man nach einem Kerl, der sich als
Pizzabäcker getarnt an Zirner rangemacht hat. Man vermutet eine offene
Rechnung. Einer, den Zirner mal in den Bau geschickt hat. Das Übliche eben.«
»Und du? Woher weißt du, dass nach mir gesucht wird?«, fragte
Valentina.
Amre lachte wieder. »Woher ich was weiß, spielt keine Rolle. Das ist
mein Kapital. Und dass ich nicht alles verrate, garantiert mir, dass ich am
Leben bleibe. Du kennst doch mein Metier. Hier hinten sind die Instrumente.«
Eine nackte Glühbirne warf Licht auf ein lieblos zusammengetragenes
Sammelsurium an Musikinstrumenten.
»Du kannst dir aussuchen, was du willst. Vielleicht eine Posaune?
Damit kannst du Parizek den Marsch blasen. Dort hinten irgendwo müssten die
Gitarren stehen. Versprich dir aber nicht zu viel davon. Ich muss wieder
zurück, die Kundschaft wartet. Du weißt, Hubertus kann sehr streng sein.«
»Ist in Ordnung, danke.«
»Keine Ursache«, lächelte Amre und verschwand hinter den
Kostümständern.
Die Gitarren waren durchweg Krücken. Immerhin waren auf einer alle
sechs Saiten gespannt. Valentina wischte den Staub von Bauch und Hals, dann
begann sie die Gitarre vorsichtig zu stimmen in der Hoffnung, dass keine der
Saiten reißen würde. Die Mechanik knurrte, der Steg knarzte. Bei der D-Saite
blockierte der Wirbel. Valentina spuckte auf das Gewinde und bewegte den Knopf
vorsichtig vor und zurück. Der Wirbel löste sich und brachte Zug auf die Saite.
Die beiden Basssaiten liefen leicht, einigermaßen stimmte die Gitarre nun.
Valentina spielte ein paar Akkorde und Läufe, um sich in das
Instrument einzuhören. Dann begann sie mit »Lady Madonna« in E-Dur. Sie spielte
es einmal ganz durch, um sich zu vergewissern, dass sie das Lied noch richtig
in Erinnerung hatte. Dann kramte sie den Zettel mit dem Code aus der Tasche und
wanderte mit den Fingern die Bünde nach den vorgeschriebenen Takten ab.
»Intro: 1. Takt, G-Saite«, las sie halblaut und spielte erst
noch einmal das ganze Intro, ehe sie sich auf den ersten Takt konzentrierte.
Die G-Saite spielte sie nur leer, bis auf zweimal, da griff ihr Mittelfinger
das »A« auf dem zweiten Bund. »Zwei mal zwei ist vier«, murmelte sie und zog
einen Stift aus ihrer Jacke, um sich die Zahl Vier zu notieren. Dann las sie
den zweiten Code: »1. Vers: 1. Takt, A-Saite.«
Er war identisch mit dem ersten Takt des Intros. Aber auf der A-Saite
wurde nur zweimal das Cis auf dem vierten Bund gegriffen. »Zwei mal vier macht
acht.« Sie notierte die Acht und blickte auf die zweistellige Zahl: 48. Es
handelte sich um die nördliche Koordinate, da war sich Valentina sicher. Sie
fuhr in dem Modus weiter fort und ermittelte damit die Koordinate N48° 08647’.
Bei den Ostkoordinaten war das System etwas anders gelagert, und
Valentina stutzte. Sollte sie alle Fingersätze addieren? Die Koordinate wäre
viel zu hoch. »Intro, 1. Vers und Chorus«, las sie und spielte alles
durch. Dabei zählte sie die Takte, obwohl sie eigentlich schon wusste, dass es
sich um sechzehn handelte. Sie notierte die Sechzehn und löste auch die anderen
beiden
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