Lost Place Vienna (German Edition)
Gedanken gar nicht
sortiert, wie Valentina nachsetzte: »Haben Sie etwas Auffälliges bemerkt,
gestern Nacht?«
Die beiden klammerten sich an ihren Flaschen fest und schauten sich
verdutzt an. Sie schienen nie etwas zu bemerken. Der Kleinere und Dickere der
beiden setzte an, etwas zu sagen, aber statt eines in Worte gefassten Gedankens
entwischte ihm nur ein Rülpser, der die Luft mit einem Gemisch aus
abgestandenem Bier und ranzigem Rettich schwängerte. Der Lange mit dem fettigen
Schnittlauchhaar lachte und offenbarte seine letzten drei Zähne, die ohne
System im Mund verteilt die Stellung hielten.
»Den dürfen Sie nicht fragen. Der hat nur noch Luft im Hirn«, sagte
er. »Mir ist schon was aufgefallen. Aber mich hat ja bisher keiner gefragt.
Einen wie uns fragt man nicht, und man hat ja nicht unrecht damit. Sie sehen ja
selbst, wenn man so einen wie den da fragt, kriegt man nur stickige Luft als
Antwort.« Er lachte wieder, weil der kleine Dicke strafend zu ihm hochblickte.
»Sag nichts, sonst kriegt die Frau Inspektor das Kotzen. So wie du
aus der Goschen stinkst, wäre es kein Wunder. Dass ich den Gestank aushalte,
ist wahre Freundschaft.«
»Und weil ich das Bier zahle.«
»Und weil du das Bier zahlst.«
»Was ist Ihnen aufgefallen?«, unterbrach Valentina den Schmäh der
beiden.
»Sie kommen doch wegen dem Stefan, gell? Also der Stefan, der war
nicht ganz dicht. Jeder bringt sich auf seine Weise um. Ich kenn den, seit er
in die Windeln geschissen hat. Und seine Mutter hab ich auch gekannt.«
»Wer kannte die nicht?« Der Dicke lachte dreckig.
»Halt die Goschen. Sie musste auch leben. Wissen S’, niemand wusste,
wer der Vater vom Stefan war. Die Gruber hat sich mit Liebesdiensten etwas
hinzuverdient, Sie verstehen? Vor zwei Jahren ist sie gestorben. War alles
zerfressen innen drin, furchtbar.«
»Und wie war Stefan als Mensch? Hatte er Freunde oder Feinde?«,
fragte Valentina.
»Freunde hatte der keine. Der ging allen hier aus dem Weg. Ist viel
vor dem Computer gesessen. Aber Feinde, glaube ich, auch nicht. Er hat ja
keinem etwas getan. Im Grunde gab es ihn hier gar nicht. Die Mutter, die hatte
Freunde, aber der Stefan nicht. Er ging ja auch aufs Gymnasium und hat dann
angefangen zum Studieren. Mit Studenten redet unsereins hier wenig. Stellen Sie
sich vor, der Hohlkopf hier müsst sich mit einem Studenten unterhalten.« Der
Lange lachte wieder laut und zeigte die drei Stumpen in seinem großen Maul. Der
Dicke, auf dessen Kosten gelacht wurde, verdrehte nur die Augen und nahm einen
kräftigen Schluck aus der Flasche.
»Sie sagten, es sei Ihnen etwas aufgefallen«, brachte Valentina das
Gespräch wieder auf den Punkt.
»Eben weil der Stefan keine Freunde gehabt hat, ist es mir
aufgefallen. Gestern Abend hat er noch Besuch gehabt. Ich hab Stimmen gehört,
wie ich nach oben bin. Ich wohn ja direkt einen Stock drüber, und die Wände
hier sind dünn.«
»War es eine Frauenstimme oder die eines Mannes?«, fragte Valentina.
»Eher ein Mann.«
»Haben Sie das meinen Kollegen bereits zu Protokoll gegeben?«
»Es hat mich keiner gefragt.«
»Ich muss noch mal oben rein. Wo finde ich den Hausbesorger?«,
fragte sie.
Ein Rülpser des Dicken wehte als Antwort zu ihr herüber. Der Lange
lachte. »Das soll so viel heißen wie ›Ich bin’s‹.«
»Verzeihung«, entschuldigte sich der Dicke. »Ja, ich bin der
Hausbesorger.«
»Sonst hätte er auch kein Geld, um mir das Bier zu bezahlen.«
»Ich kann Ihnen die Wohnung aufsperren, wenn Sie wollen.«
»Das wäre nett.«
Der Lange blickte auf die ausgetrunkene Bierflasche. »Mani, hast du
noch Geld? Ich brauch Nachschub.«
Mani kramte in seiner Hosentasche und zog einen zerknitterten Fünfer
hervor. Er reichte dem Langen den Schein und die leere Bierflasche. »Vergiss
nicht, da kriegst du Pfand drauf«, mahnte er, dann drehte er sich zu Valentina.
»Kommen S’.«
Die Wohnung sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen.
Valentina konnte auch unordentlich sein, aber so etwas kannte sie nur von
Müllhalden. Da hatte sich bestimmt kein Spurensicherer drangemacht, um den
Selbstmord zu hinterfragen. Und doch glaubte Valentina nicht an Selbstmord.
Wenn Stefan Gruber kurz vor seinem Tod nicht allein gewesen war, hätte ihn auch
jemand aufknüpfen können. Durch die Autopsie hätte man Spuren von
Gewaltanwendung finden können. Wenn man einen Mord in Erwägung zog.
Aber der Beamte, der Nicola heute Morgen angerufen hatte, hatte
eindeutig von Selbstmord
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