Lost Princesses 02 - Ketten Der Liebe
könnte sie es schaffen. Sie wusste es.
Den Blick auf den elfenbeinernen Griff der Waffe gerichtet, drückte sie sich mit beiden Füßen am Boden ab und bewegte sich ruckartig mit dem Stuhl. Sie kam zwar nur langsam voran, aber immerhin, der Stuhl ließ sich bewegen. Mit neuem Mut versuchte sie es ein weiteres Mal. Die Stuhlbeine schabten über den gebohnerten Boden. Sie bewegte sich rückwärts fort, aber es gelang ihr, den Bettpfosten als Ziel beizubehalten. Auf halbem Weg hielt sie inne, um wieder zu Atem zu kommen ... und meinte, draußen ein Geräusch zu hören.
Mit dem Mut der Verzweiflung setzte sie ihr anstrengendes Vorhaben fort. Die Stuhlbeine schafften es nicht über den dicken Teppich - sie saß fest.
Daher vollführte sie nun kleine Sprünge mit dem Stuhl, die sie langsam, aber stetig ein Stückchen weiterbrachten. Ihre Waden brannten, die Schultern taten ihr weh, und das Gewicht des Stuhls schien von einem Ruck zum nächsten zuzunehmen. Nach schmerzvollen Minuten fand sie sich endlich am Bettpfosten wieder.
Keinen Fuß weit von ihr entfernt schimmerte die Pistole im Kerzenschein; der verzierte Lauf war geölt, der Griff lockte mit seinem reinen Elfenbein.
Aber sie kam nicht an die Waffe.
Sie schaute auf ihre Hände, die mit einem Seil gefesselt waren, unter das Jermyn ein weißes Taschentuch gelegt hatte. Es wäre anstrengend, sich daraus zu befreien, aber eine Chance hatte sie nur, wenn sie wenigstens eine Hand freibekäme.
Sie testete die Fesseln an beiden Händen. Am linken Handgelenk kam ihr das Seil ein wenig lockerer vor. Daher versuchte sie, die Hand zu strecken und schmaler zu machen. Ohne weiter auf ihre Haut zu achten, zog sie. Das Taschentuch verrutschte, aber sie bekam die Hand nur bis zum Daumen frei.
Dort war die Hand am breitesten, und nach dem ersten Versuch hielt Amy keuchend inne. Schließlich schob sie den Daumen in die Handinnenfläche, holte tief Luft und versuchte es erneut. Haut, Sehnen und Knochen schmerzten fürchterlich.
Aber die Hand ließ sich ein Stück weit bewegen. Dann noch ein Stückchen.
Endlich bekam sie die Finger frei.
Sie griff nach der Pistole.
Abgesehen von seiner Kindheit hatte Jermyn die meiste Zeit seines Lebens in London verbracht und wunderte sich zum wiederholten Male, wie unglaublich dunkel es auf dem Land sein konnte. Der Mond hatte seine Himmelsbahn beendet, und die Gärten am Rande des Anwesens bestanden aus mannshohen Hecken und Bäumen, die in voller Blüte standen. Selbst das Sternenlicht kam nicht durch das Blattwerk. Dennoch fand er seinen Weg, da er den schwachen, verlockenden Schimmer der Cottagefenster keinen Moment aus den Augen ließ.
»Und Sie sind sich sicher, dass Walter keinen Verdacht schöpft?«, fragte er Biggers, der ein paar Schritte hinter ihm ging.
»Mylord, seit Eurer Entführung vernachlässigt er seine Pflichten als Butler mitunter auf komische Art und Weise. Zudem hat er sich dem Trunk hingegeben und tut sich sogar an dem Brandy Eures Herrn Vater gütlich. Walter glaubt offensichtlich, dass Ihr nicht zurückkehren werdet.« Dem Tonfall seines Kammerdieners war zu entnehmen, was Biggers von so einem ungebührlichen Benehmen hielt. »Glücklicherweise ist er wohl der Einzige, den Ihr Onkel für sich gewinnen konnte. Ich habe die Haushälterin ins Vertrauen gezogen übrigens eine bemerkenswerte Frau -, und sie war es, die mir half, Ihre Unterkunft vorzubereiten.«
»Dann werden wir im Cottage sicher sein.« Das war Jermyns größte Sorge gewesen - dass er sich Amy nicht unbeschwert widmen konnte, ohne sie beide in Gefahr zu bringen, denn er erkannte, dass die Bedrohung, die zuvor ihm allein gegolten hatte, nun auch Amy mit einschloss.
Sie stellte sich der Bedrohung ohne Furcht.
Es war seine Pflicht, für ihr Wohlergehen zu sorgen.
»Ja, aber Ihr seid nicht ohne Schutz«, versicherte Biggers ihm. »Ihr habt doch noch den Dolch, den ich Euch gab?«
»Gewiss.«
»Und die Pistole?«
»Immer bei mir.«
»Ich habe mir erlaubt, eine weitere Pistole neben dem Bett zu deponieren, Mylord.«
Jermyn schaute seinen Kammerdiener erschrocken an. »Ist sie geladen?«
»Ja, Mylord, gewiss.«
Jermyn zögerte keinen Augenblick länger, sondern eilte zum Cottage. Mehr stolpernd als gehend überquerte er die mit Schotter ausgelegten Wege und hastete zu dem Haus, in dem Amy allein war - mit einer geladenen Pistole.
Natürlich hatte er sie gefesselt. Die Knoten stammten von ihm. Er wusste, dass sie fest waren ...
Aber ihre
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