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Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Titel: Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Roth
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nicht sagen kann, wie ...«
    »Doofe Ader.«
    Ich küsse ihn auf die Haare: »Find ich ja auch. Wie wäre es, wenn wir zwei verstecken spielen, wenn Lotta Mittagsschlaf macht? Nach dem Essen.« Ich schäle die Zucchini und wärme Olivenöl in der Pfanne an. Es zischt. »Ben, wo bist du? Essen!«
    Er baut sich vor mir auf. »Du bist dran mit Suchen!«
    »Nach dem Essen, ja?« Ich schaue um die Ecke nach Lotta. Sie ist weg. Die Decke auch.
    Ben grinst. »Du bist dran!«
    »Was?«
    »Such!«
    »Wo ist Lotta? Was hast du gemacht?«
    »Wir spielen verstecken!«
    Ich beuge mich zu ihm runter. »Ben, wo ist Lotta?«
    Er schüttelt den Kopf. »Such!«
    Ich finde Lotta hinter dem Sofa, mit großen Augen starrt sie die Wand an. Ganz zerknüllt unter ihr die Decke, auf der Ben sie hinter sich hergezogen hat. Ich nehme Lotta hoch. »Ben, das geht doch nicht!«
    »Warum nicht?«, fragt er und umarmt sie. »Toll, Lotta! Du warst ganz leise!«
    Sie lächelt ein Grübchenlächeln. Warum nicht? Geht vielleicht doch alles? Kann man auch verstecken spielen, wenn man nicht laufen und nicht sehen kann?
    »Jetzt musst du suchen, Lotta!«, sagt Ben. »Du findest mich nie.«

    Wann gestehe ich mir ein, dass der »Verdacht auf cerebrale Bewegungsstörung« wohl kein bloßer Verdacht bleiben wird? Es ist kein plötzliches Verstehen, es gibt keinen Moment der Erkenntnis. Die Wahrheit schleicht sich an, mit leisen Schritten. Die Zeit vergeht und Lotta bleibt stehen. So scheint es zumindest.
    »Filmen Sie Lotta«, rät mir Frau Kniep. »Dann sehen Sie Fortschritte, die Sie sonst übersehen würden.«
    Wir sammeln wieder Videobeweise. Mein Handy habe ich immer griffbereit. »Schau mal, wie schön sie da die Hand öffnet«, »Wie gut sie die Knie anwinkelt!« Harry und ich abends in einer Bar. Um uns herum lachen Paare, wir stecken die Köpfe zusammen und betrachten auf meinem Handy Bilder von unseren Kindern.
    »Wo wollt ihr denn hin?« Ben vor einer Stunde.
    »Wir gehen romantisch eine Cola trinken.«
    »Ich bin auch romantisch. Ich will mit.«
    »Schau mal hier, wie sie strampelt!« Wir betrachten Lottas Beine in Großaufnahme, pinke Strumpfhosen, weiße Tupfen, rechtes Bein rauf, runter, linkes Bein, rauf, runter. Ich sage: »Und ich glaube, ich habe endlich einen guten Neurologen gefunden: Dr. Waltz. Nächste Woche haben wir einen Termin.«
    Rechts Bein, rauf, runter, linkes Bein, rauf, runter. »Meinst du, sie wird irgendwann laufen?«, fragt Harry.
    »Lass uns nicht daran denken, ja? Ich will mich jetzt freuen.«
    Die Zukunft verbiete ich mir. Meine Träume müssen in eine Kiste in den Keller. Vielleicht brauche ich sie eines Tages wieder, doch jetzt sind sie mir nur im Weg. Solange ich mich auf die Gegenwart konzentriere, finde ich sie schön, wie sie ist.
    Wie schön sie wirklich ist, merke ich erst, als es fast zu spät ist.

13

»Aber es hilft doch nicht!«
Von lebensbedrohlichen Anfällen und einem Notarzt-Einsatz
    Wir haben ein Handy-Video von Lotta, das ich mir niemals anschauen wollte. 37 Sekunden lang, vom 28. Januar 2011. Im Fotoarchiv unseres Computers steht es kurz hinter den Bildern vom Geschenkeauspacken vor dem Weihnachtsbaum.
    Es zeigt nur eine Einstellung: Lottas Gesicht in Großaufnahme. Sie liegt in meinem Arm, die Kamera schaut mir über die rechte Schulter. Ich sitze auf dem Küchenhocker und habe mit der Schulter ein Telefon ans Ohr geklemmt.
    Als das Video beginnt, sagt Harry aus dem Off: »... nicht da. Das bringt nichts.«
    »Irgendwas muss man doch machen«, sage ich.
    Es tutet im Telefon. Lottas Mund geht wie mechanisch auf und zu. Ihre Augen flackern immer wieder nach rechts. Ihr Atem ist rasselnd und schwer. Sie scheint nur sehr schwer Luft zu kriegen. »Schschh, Püppchen!« Harry beruhigend im Hintergrund. Es tutet. »Lotta, Lotta, Lotta, Lotta!« Ich streiche mit einer Hand über ihr Gesicht. Keine Reaktion.
    »Nicht so panisch«, sagt Harry aus dem Off.
    »Ja, Dr. Feldkamp, Sandra Roth hier. Ich habe mal eine kurze Frage: Die Lotta, ich weiß nicht, ob das ein Anfall ist. Das sieht ganz komisch aus, was die macht. Den Mund immer auf und zu, der Sabber läuft raus, die Augen gehen immer nach rechts ...«
    Ich höre hin. »Was soll ich machen?«
    Ich höre zu. Sage laut: »Notarzt?«
    Das Video bricht ab.
    »Ihr Mann hat das gefilmt?«, wird mich ein Arzt später fragen.
    »Wir dachten, es ist gleich vorbei«, werde ich sagen. »Ich wollte das dem Neurologen zeigen. Ich dachte, das ist wichtig.«
    Es war

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