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Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Titel: Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Roth
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dem Atlantik. Dort, wo kein Rettungswagen hinkommt. Wir haben großes Glück gehabt.

    In den ersten Tagen warte ich auf ein Anzeichen, ich lasse Lotta nicht aus den Augen. Wenn ich duschen will, breite ich Handtücher auf dem Boden vor der Dusche aus und lege Lotta darauf. Wenn die Scheibe vom warmen Wasser beschlägt, wische ich sie mit der nassen Hand ab. Ich nehme Lotta überall mit hin. Während ich die Waschmaschine ausräume, liegt Lotta davor auf dem Boden. Ich trage sie wieder stundenlang im Tragetuch. Im Schlafzimmer baue ich das alte Beistellbett wieder auf, das an einer Seite offen ist. So liegt sie direkt neben mir. Eigentlich hatte Lotta schon in ihrem eigenen großen Bett geschlafen, bald wollten wir es vom Schlafzimmer ins Kinderzimmer schieben. In das alte Babybett passt sie gerade noch hinein. Wenn ich sie ins Bett bringe, gehe ich auch und liege wach neben ihr. Es kommt kein Anzeichen.
    Aber Lotta ist nicht mehr dieselbe. Ihr Blick ist nicht mehr wach, sondern verschleiert. Ihre Augenlider hängen oft herunter, als würde sie gleich einschlafen. Sie lächelt nicht mehr. »Die ist fertig«, sagt Harry. »Die muss sich erst erholen. Denk an den Marathon.«
    »Könnte das eine Nebenwirkung des Medikaments sein?«, frage ich Dr. Waltz.
    »Der Körper muss sich erst daran gewöhnen. Deswegen schleichen wir das ja so langsam ein«, erklärt er mir.
    Auf der weißen Medikamentenpackung steht: »Kann die Verkehrstüchtigkeit beeinflussen. Von Kindern fernhalten.« Neues Wort: Antikonvulsiva. Medikamente gegen Epilepsie. Lottas erstes heißt Keppra und riecht nach Lakritze. Ich flöße es Lotta mit einer Spritze ein. Keppra fördert die Freisetzung von Gamma-aminobutyric acid, kurz GABA, einem Botenstoff im Gehirn. Er hemmt die Ausbreitung von Erregungszuständen im Gehirn. So kann sich das Gewitter in Lottas Kopf nicht ausbreiten, ihre Hirnzellen können nicht so wild durcheinanderschießen.
    »Verlangsamt das auch die allgemeine Hirnaktivität?«, frage ich Dr. Waltz. »Wird sie nun langsamer reagieren?«
    »Der Erfolg von Keppra beruht darauf, dass genau das in aller Regel nicht passiert«, sagt er.
    Es dauert, bis Lotta wieder an die Oberfläche taucht. Zu Hause im Wohnzimmer ein kleines Lächeln, ein offenerer Blick. Ein Protestschrei beim Wickeln. Ihr Körper gewöhnt sich an das Keppra. Langsam, ganz langsam kommt Lotta zurück. Sie hat keine Anfälle.
    »Es hilft«, sage ich. »Da haben wir noch mal Glück gehabt.«
    »Meinst du?«, sagt Harry. »Meinst du, das war es schon?«

14

»Was hat sie denn?«
Von Blicken, Fragen und einem Maserati
    Unser Coming-out ist grau-blau und hat einen Design-Award gewonnen: Der Reha-Buggy ist da. »Sieht doch aus wie ein normaler Kinderwagen«, sagt Harry.
    Ich sehe die Polster, um den Rücken zu stabilisieren, die seitlichen Kopfstützen, die Lottas Kopf halten sollen, und die Bänder, um ihre Füße festzuschnallen. »Findest du?«
    Neben dem neuen Wagen steht unser alter in der Garage. Ein Bugaboo Chameleon. Beiges Untergestell, jeansfarbenes Verdeck, entwickelt in Amsterdam. Über 800 Euro teuer. Im Jahr 2007 war das etwas, nach dem sich andere Mütter auf dem Spielplatz umdrehten. Melanies war unten dunkelgrau und oben beige. »Kaufst du einen neuen?«, hat sie mich gefragt, als wir beide wieder schwanger waren.
    »Du etwa?«
    »Vielleicht.«
    Wir haben stattdessen neue Verdecks bestellt, ich in »Offwhite«, sie in Rot.
    Als wir mit Lotta und Noah beim Babymassagekurs ankamen, haben wir unsere Kinderwagen in einer langen Reihe identischer Modelle geparkt, schwarz, weiß, grün, orange, mit Paul-Frank-Verdeck, mit Swarowski-Steinen besetzt. »Scheint so, als fährt jetzt jeder Porsche«, hat Melanie gesagt.
    Nun fahre ich einen grauen Lieferwagen. Fehlt nur der blaue Aufkleber mit dem weißen Piktogramm. Früher ging es darum, sich von den anderen zu unterscheiden, jetzt wäre ich gerne wieder wie alle. »Dieser Buggy ist das B-Wort auf vier Rädern«, sage ich zu Harry.
    »Du erzählst einfach, wie teuer der war. Und Maßanfertigung! Das hier ist ein Maserati.«

    Der Reha-Buggy kostet über 3000 Euro, die Krankenkasse hat etwa zwei Drittel übernommen, und das auch nur »aus Kulanz«. Lotta ist privat versichert, so wie Harry auch. »Besser wäre es wahrscheinlich, wenn sie Kassenpatientin wäre«, hat mir Frau Kniep erklärt. Der Bund der Versicherten äußert sich ähnlich, wie ich im Internet erfahre. »Es gibt Bereiche, wo die gesetzliche

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