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Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Titel: Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Roth
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ihr?«
    Ich gehe den Notfallplan durch, den ich mit Dr. Waltz aufgestellt habe: Falls Lotta direkt nach dem Abflug einen Anfall bekommt – wieder landen, Rettungswagen auf dem Rollfeld. Dazwischen der Flughafen München, in Innsbruck ein gutes Krankenhaus. »Sie haben das Diazepam, das wirkt in letzter Zeit immer«, hat Dr. Waltz gesagt. »Sie sollten Ihr Leben so wenig wie möglich von der Krankheit Ihrer Tochter bestimmen lassen.«
    Lotta schreit, die Stewardess hinter dem Counter mustert uns und greift zum Mikro. »Ihr Flug nach Innsbruck ist nun zum Einsteigen bereit.« Lotta verstummt, als wäre dies ihr Signal gewesen. Ich greife nach der Wickeltasche, eine Dame um die 70 ist schneller. »Die ist doch viel zu schwer für Sie!«, protestiere ich. Ein Mann im Anzug rettet uns aus unserem kleinen Gerangel.
    Ich sinke auf meinen Platz, irgendwo zwischen Reihe 1 und 10 ist Lotta in meinen Armen eingeschlafen. Sie seufzt. Wenn sie schläft, sieht sie ganz normal aus. Ich streiche ihr die verschwitzten Haare aus der Stirn, flüstere: »Wir haben es geschafft.«
    Der Steward zählt die Passagiere mit einem Klicker in der Hand. Jeder Kopf ein Klick. »Würden Sie Ihr Kind bitte für den Start auf seinen Sitz setzen.«
    »Das geht nicht, sie ...«
    »Es tut mir leid, das ist Vorschrift. Ab zwei Jahre müssen Kinder bei Start und Landung alleine sitzen.«
    »Meine Tochter kann nicht alleine sitzen.«
    »Sie muss aber.«
    Unsere Stimmen sind laut geworden, die Stille um uns wie Watte. »Meine Tochter ist behindert, sie kann nicht alleine sitzen. Körperlich.«
    Der Steward wird rot. Lotta darf in meinen Armen bleiben. Ich lasse sie während des Flugs keine Sekunde aus den Augen. Wenn sie jetzt krampft.
    Als wir landen, konkurrieren drei Menschen um die Wickeltasche. Ich bin eine alte Dame, der jeder über die Straße helfen will. Ich bin ein Lackmustest für Menschlichkeit und alle wollen bestehen.

    Am Abend sitzen wir im großen Speisesaal. Ben im Hemd, Lotta mit Rock, wir Eltern beim Fünf-Gänge-Menü. Um uns herum Frauen in Kleidern, klirrende Gläser, Kinder, die vom Kellner Malsachen bekommen. Ben malt mehr auf die Tischdecke als auf sein Blatt. Ich füttere Lotta auf meinem Schoß mit Kürbisschaum.
    »Wie lange können wir das eigentlich noch machen?«
    »Was meinst du?«, fragt Harry.
    »Hast du von dem Down-Kind gehört, das sie in den USA nicht in den Flieger gelassen haben? Sicherheitsrisiko.«
    »Hast du von der armen Rollstuhl-Frau gelesen?«, kontert er.
    »Arme Rollstuhl-Frau?«
    Harry zitiert: »Schlagzeile: Arme Rollstuhl-Frau darf nicht zum Musikanten-Stadl. Unterzeile: Weil sie nicht schunkeln kann?«
    »Das ist nicht lustig. Und was, wenn Lotta mit 16 noch gefüttert werden muss? Geben die uns dann den Tisch dahinten, hinter der Zimmerpalme?«
    Harry lässt seine Gabel sinken. »Würdest du hier sitzen wollen, wo alle starren?«
    Eine große Gesellschaft betritt den Saal. Großmutter im Twinset, Großvater mit Stock, erwachsene Kinder mit Ehefrauen und -männern, rennende Enkelkinder, ein Baby. Der Kellner weist ihnen den großen Tisch in der Mitte des Saals zu, gedeckt für zwölf Personen, »reserviert«.
    Erst als sich die Gruppe teilt, um die Plätze einzunehmen, ist er zu sehen. Ein Mann um die 40, der Sohn wohl. Dunkle Locken, weißes Hemd, ein Arm, der wie Lottas linker fest unter die Achsel zurückgezogen ist, die Hand zur Faust geballt, die Knie nach innen gedreht, der Gang schleppend. »Komm, Jakob, setz dich hierhin«, sagt eine der Frauen. Sie bindet ihm eine Serviette um.
    »Kuckuck!« Der Ruf hallt durch das Geklapper von Besteck und Stimmengewirr, das sofort zu verstummen scheint. Köpfe drehen sich.
    »Ja, Jakob, kuckuck«, sagt die Frau an seiner Seite ruhig.
    Der Mann winkt mit seinem gesunden Arm, wie ein Gestrandeter auf einer Insel einem Schiff am Horizont zuwinken würde. »Kuckuck!« Die Familie lacht, bestellt, redet – als wäre ganz normal, was in ihrer Mitte geschieht.
    Ben hat sein Stück Brot im Mund vergessen. »Was macht der da?«
    »Der ruft kuckuck«, sage ich.
    Mein Sohn steigt auf seinen Stuhl und winkt zurück. »Kuckuck!«, ruft er.
    »Kuckuck!«, ruft der Mann zurück. Sie winken sich quer durch den Speisesaal zu.
    Ben strahlt. »Der ist ja lustig!«
    Die Großmutter schaut zu Ben rüber, sie lächelt. Ich nicke ihr zu. »Wir müssen reservieren«, sagt Harry. »Dann setzen die uns nicht hinter die Zimmerpalme.«

    Als die Kinder schlafen, trauen wir uns an die

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