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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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brachte, das Vater beim ersten Mal genossen hatte – dank nämlich den gesellschaftlichen Gaben einer zierlichen Hausfrau und der vollendeten Gastfreiheit des Wirtes, auf dem Hintergrund wohlgeordneter Verhältnisse. Wieder glühte der Mainstrom am würzigen Abend, und wieder sang die zierliche Marianne zum Fortepiano Vaters Lieder. Diesmal aber war er an solchen Abenden nicht nur ein Nehmender, sondern auch ein reichlich Gebender; denn er ließ sich erbitten oder erbot sich auch wohl, aus seinem immer sich mehrenden Schatze von Suleika-Gesängen vorzulesen, die Hatem an jene Rose des Ostens gerichtet, und die Gatten wußten die Ehre dieser Mitteilungen wohl zu schätzen. Die junge Wirtin, die keineswegs {253} zu den Frauenzimmern zu gehören scheint, welche sich nur darüber verwundern, was so ein Mann nicht alles denken kann, ließ es ihrerseits nicht beim Nehmen bewenden, sondern brachte es in der Empfänglichkeit so weit, daß sie die leidenschaftlichen Ansprachen in Suleika's Namen geradezu ebenbürtig zu erwidern begann, und ihr Gatte hörte dem Wechselgesange mit dem gastlichsten Wohlwollen zu.«
    »Er ist gewiß ein wackerer Mann«, sagte Charlotte, »mit gesundem Sinn für die Vorteile und Rechte des Wirklichen. Das Ganze aber, bekannt wie es mir vorkommt, scheint mir eine gute Illustration für das zu sein, was Sie von der Erinnerung sagten, die auf Wiederholung dringt. Und schließlich? Die fünf Wochen nahmen, versteht sich, ein Ende, und der große Gast entschwand?«
    »Nach einem Mondschein-Abschiedsabend, ja, der reich war an Gesängen, und an dessen spätem Ende, wie ich unterrichtet bin, die junge Wirtin selbst in fast ungastlicher Weise zum Abschied drängte. Aber der Wiederholungswunsch wußte sich auch hier noch und abermals Genüge zu schaffen, indem es zu Heidelberg, wohin Vater sich gewandt hatte, zu einem aberneuen Wiedersehen kam. Denn das Ehepaar fand sich überraschend dort ein, und es gab einen überletzten Abschiedsabend im vollen Monde, bei welchem die kleine Frau zum freudigen Erstaunen des Gatten sowohl wie des Freundes ein Erwiderungsgedicht von solcher Schönheit zu Tage förderte, daß es ebenso gut von Vater hätte sein können. Wir sollten uns wohl bedenken, ehe wir dem Wirklichen entschiedene Vorteile, überlegene Rechte zusprechen vor dem Poetischen. Die Lieder, die Vater damals in Heidelberg und nachher für seinen persischen Diwan dichtete, sind sie nicht die Krone des Wirklichen und das Allerwirklichste selbst? Ich habe den vertraulichen Vorzug, sie zu kennen und einige zu besitzen, früher als alle Welt. Beste Dame, sie sind von ungeheuerer, von unaussprech {254} licher Merkwürdigkeit. Es gab nie dergleichen. Sie sind ganz der Vater, aber es ist Er von einer völlig neuen, wieder einmal ganz unvermuteten Seite. Nenne ich sie geheimnisvoll, so bin ich zugleich genötigt, sie kindlich klar zu nennen. Es ist – ja, wie es mitteilen – die Esoterik der Natur. Es ist das Persönlichste mit den Eigenschaften des Sterngewölbes, sodaß das All ein Menschenantlitz gewinnt, das Ich aber mit Sternenaugen blickt. Wer will das aussagen! Immer gehen zwei Verse mir nach aus einem davon – hören Sie!«
    Er rezitierte mit zaghafter und wie erschrocken gesenkter Stimme:
    »›Du beschämst wie Morgenröte
    Dieser Gipfel ernste Wand –‹
    Was sagen Sie dazu?« fragte er, noch immer mit der erschrokkenen Stimme. »Sagen Sie nichts, bevor ich hinzugefügt habe, daß auf die ›Morgenröte‹ sein eigener gesegneter Name gereimt ist, – das heißt, es steht ›Hatem‹ da, aber durch die Maske des Unreims tönt schalkhaft innig der ichvolle Reim hindurch: ›Und noch einmal fühlet Hatem –‹ Wie mutet Sie das an? Wie berührt Sie diese feierlich ihrer bewußte Größe, von Jugend geküßt, von Jugend beschämt?« – Er wiederholte die Verse. »Welche Weichheit, mein Gott, und welche Majestät!« rief er. Und vornübergebeugt preßte der junge Goethe die Stirn in die flache Hand, deren Finger in seinen Locken wühlten.
    »Es ist nicht zu bezweifeln«, sagte Charlotte mit Zurückhaltung, da ihr dieses leidenschaftliche Gebahren anstößiger war als sein früherer Jähzorn, »daß die öffentliche Welt Ihre Bewunderung teilen wird, wenn diese Collektion einmal zu Tage tritt. Freilich wird noch so schalkhaft bedeutenden Poesieen eine derart ausgreifende Weltwirksamkeit wohl niemals zuteil werden können wie einem noch dazu von eigener Jugend beschwingten Romanenbuch. Man mag das

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