Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Wechsel von Eifer und Gleichgültigkeit, von Passion und Geringschätzung, – er ist kein Theatermensch, glauben Sie mir, wer ihn kennt, der weiß und versteht, daß er mit dem Komödiantenvolk garnicht umgehen kann, – man muß, und stünde man noch so hoch über den Leutchen, auf eine Weise von ihrer Art und ihrem Geblüte sein, um mit ihnen zu leben und auszukommen, was man von Vater nun wahrlich beim besten Willen nicht – aber genug! Ich rede so ungern davon, als ich dran denke. Mit Mutter, da war's etwas andres, die wußte den Ton, die hatte Freunde und Freundinnen unter ihnen, und ich war von kleinauf auch öfters dabei. Mutter und ich, wir hatten denn auch die Brustwehr zu machen zwischen ihm und der Truppe, berichteten ihm und {260} vermittelten. Aber schon früh auch nahm er sich überdies einen Beamten vom Hofmarschallamt zum Gehilfen und Stellvertreter, Hof-Kammerrat Kirms, und sie beide wieder zogen noch andre Personen hinzu, um sich besser zu decken, und führten eine Kollegial-Verwaltung ein, die nun, unterm Großherzogtum, zur Hoftheater-Intendanz geworden ist; neben Vater gehören Kirms, Rat Kruse und Graf Edling ihr an.«
»Graf Edling, hat er nicht eine Prinzessin aus der Moldau zur Frau?«
»O, ich sehe, Sie sind ganz unterrichtet. Aber, glauben Sie mir, Vater ist den drei anderen Mitgliedern oft im Wege. Es ist halb lächerlich – sie stehen unter dem Druck einer Autorität, die sie sich am Ende gefallen ließen, wenn sie nicht obendrein spürten, daß diese Autorität sich im Grunde auch noch zu gut weiß, um ausgeübt zu werden. Er selber stellt es so hin, daß er zu alt sei für das Geschäft. Er möchte es abwerfen – sein Freiheitsbedürfnis, sein Hang zum Privaten war eigentlich immer der stärkste – und mag sich doch wieder nicht, davon trennen. So ist der Gedanke denn aufgetaucht, mich einzuschalten. Von Serenissimo selbst ist er ausgegangen. ›Laß Augusten eintreten‹, haben Dieselben gesagt, ›so bist du dabei, alter Kerl, und hast doch deine Ruh!‹«
»Sagt der Großherzog ›alter Kerl‹ zu ihm?«
»Doch, so sagt er.«
»Und wie sagt Goethe?«
»Er sagt ›Gnädigster Herr‹ und ›Empfehle mich Durchlauchtigster Hoheit zu Gnaden‹. Es wäre nicht nötig, der Herzog lacht ihn öfters deswegen ein bischen aus. – Eine unpassende Assoziation kommt mir übrigens da, ich weiß es wohl, fällt mir aber eben ein und mag Sie auch wohl interessieren: daß nämlich Mutter immer ›Sie‹ sagte zu Vater, er zu ihr aber ›Du‹.«
Charlotte schwieg. »Lassen Sie mich über dem kuriosen Détail«, sagte sie dann, »– denn es ist kurios, wenn auch rührend {261} zugleich und im Grunde ganz wohl verständlich – meine Gratulation nicht vergessen zu der neuen Ernennung und Beiträtigkeit.«
»Meine Lage«, bemerkte er, »wird etwas delikat sein. Der Altersunterschied zwischen mir und den anderen Herren der Intendanz ist beträchtlich. Und da soll ich nun unter ihnen jene Autorität vertreten, die sich zu gut weiß.«
»Ich halte mich überzeugt, daß Ihr Takt, Ihre Weltläufigkeit die Lage meistern werden.«
»Sie sind sehr gütig. Ennuyiere ich Sie mit der Aufzählung meiner Pflichten?«
»Ich höre nichts lieber.«
»Gar manche Korrespondenz fällt mir zu, die hoher Würde nicht zu Gesichte stünde: die Schreibereien zum Beispiel im Kampf gegen die eklen Nachdrucke, die unsre Gesamtausgabe in zwanzig Bänden konkurrenzieren, und dann, sehen Sie, gerade jetzt, möchte Vater gern ehrenhalber von den Abzugsgeldern befreit sein, die er zu zahlen hätte, wenn er ein Kapital, das noch von der Großmutter her auf Frankfurter Grundstücken steht, und das er in Frankfurt versteuern muß, unter Aufgabe seines Bürgerrechtes nach Weimar zöge. Zum Teufel, es sind fast dreitausend Gulden, die man ihm abziehen würde, und da sollizitiert er nun, daß die Stadt ihm die Auflage schenke, zumal er sie noch kürzlich in seiner Lebensbeschreibung so liebevoll geehrt. Zwar will er das Bürgerrecht aufgeben, aber wie hat er nicht zuvor noch die Vaterstadt geehrt und verewigt! Versteht sich, er kann darauf nicht pochen und hinweisen, das läßt er mich machen, ich führe den Briefwechsel, ich führe ihn mit Geduld und Schärfe und habe nicht wenig Unmut davon. Denn was antwortet man mir – und also doch ihm, vor den ich mich stelle? Die Stadt bedeutet uns, daß der Erlaß des Abzuges einer Beraubung der übrigen Frankfurter Bürger gleichkäme! Was sagen Sie dazu? Ist das nicht
Weitere Kostenlose Bücher