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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Bangen alles nach Wunsche ging. Ende Mai vorigen Jahres fuhr Vater nach Wiesbaden, und während er dort bis Juli die Kur gebrauchte, tobte das Kriegsgewitter sich aus – gleichviel, wie, aber es tobte sich aus; und bei dem klarsten politischen Horizont konnte er den Rest des Sommers am Rheine genießen.«
    »Am Maine?«
    {246} »Am Rheine und Maine. Er war auf Burg Nassau Gast des Ministers vom Stein, er fuhr mit diesem nach Köln, den Dom zu studieren, für dessen Ausbau er sich neuestens interessiert, und hatte eine seiner Schilderung nach höchst angenehme Rückreise über Bonn und Koblenz, die Stadt des Herrn Görres und seines ›Rheinischen Merkur‹, welcher die Stein'schen Verfassungspläne propagiert. Daß er mit diesen sonderlich sollte harmoniert haben, würde mich mehr noch wundern als die Anteilnahme an der Vollendung des Doms, die man ihm einzuflößen gewußt hat. Ich schiebe die glückliche Stimmung, worin er all diese Zeit hin schwebte, vielmehr auf das schöne Wetter, die Freude an einer liebenswürdigen Landschaft. Er war noch einmal in Wiesbaden, war auch in Mainz, und endlich denn, im August, nahm wieder Frankfurt, nahm der behagliche Landsitz mit den längst glücklich geordneten Verhältnissen ihn wieder auf, wo nun fünf Wochen lang, ganz wie er's erträumt, das Wohlsein vom vorigen Jahr, befördert von freigebiger Hospitalität, sich wieder erzeugte. Der August ist der Monat seiner Geburt, – es mag wohl sein, daß ein sympathetisch Band den Menschen an die Jahreszeit knüpft, die ihn hervorgebracht, und daß sie wiederkehrend seine Lebensgeister erhöht. Ich kann aber nicht umhin zu denken, daß in den August auch des Kaisers Napoléon Geburtstag fällt, der noch vor kurzem in Deutschland so hoch begangen wurde, und mich zu wundern, richtiger sag' ich: zu freuen, wie sehr doch in heiterem Vorteil die Helden des Geistes sind vor den Helden der Tat. Da hatte nun die blutige Tragödie von Waterloo meinem Vater den Weg frei gemacht zur gastlichen Gerbermühle, und der mit ihm zu Erfurt konversiert saß gefesselt an den Felsen im Meer, indessen jenen ein liebendes Geschick den günstigen Augenblick von Grund aus ließ genießen.«
    »Da waltet Gerechtigkeit«, sagte Charlotte. »Unser teuerer Goethe hat den Menschen nichts als Liebes und Gutes getan, da jener Weltgewaltige sie mit Skorpionen gezüchtigt hat.«
    {247} »Dennoch«, erwiderte August, indem er den Kopf zurückwarf, »lasse ich es mir nicht nehmen, daß auch mein Vater ein Gewaltiger und ein Herrscher ist.«
    »Das nimmt Ihnen niemand«, versetzte sie, »und niemand nimmt's ihm. Nur ist es wie in der römischen Geschichte, wo wir von guten und bösen Kaisern lernen, und Ihr Vater, mein Freund, ist so ein guter und sanfter Kaiser, der andere dagegen ein blutrünstig-höllentstiegener. Das spiegelt sich in dem Unterschied der Geschicke, auf den Sie geistreich hinwiesen. – Fünf Wochen also blieb Goethe im Hause der Jungvermählten?«
    »Ja, bis in den September und bis er sich nach Karlsruhe begab, in Serenissimi Auftrag das dortige berühmte Mineralienkabinett zu visitieren. Er ging dahin in der Erwartung, Frau von Türckheim zu begegnen, will sagen der Lili Schönemann von Frankfurt, die manchmal zum Besuche ihrer Verwandten aus dem Elsaß herüberkam.«
    »Wie, es hat nach sovielen Jahren ein Wiedersehn stattgefunden zwischen ihm und seiner einstigen Verlobten?«
    »Nein, die Baronin blieb aus. Leicht mag es Kränklichkeit gewesen sein, die sie vom Kommen abhielt. Unter uns gesagt hat sie die Auszehrung.«
    »Arme Lili«, sagte Charlotte. »Ist doch bei dem Verhältnis nicht gar viel herausgekommen. Einige Lieder, aber kein weltbewegendes Werk.«
    »Es ist«, fügte Herr von Goethe seiner vorigen Bemerkung hinzu, »die nämliche Krankheit, an der auch die arme Brion, jene Friederike von Sesenheim gestorben ist, deren nun schon dreijährigem Grabe im Badischen Vater damals so nahe war. Sie hat ein trauriges Leben abgesponnen, da sie bei ihrem Schwager, dem Pfarrer Marx, eine stille Zuflucht gefunden. Ich frage mich, ob Vater wohl des nahen Grabes gedachte und allenfalls tentiert war, es aufzusuchen, mochte aber ihn nicht danach {248} fragen und muß daran zweifeln, da er in seinen Geständnissen äußert, daß ihm an die Tage des Abschieds vorm letzten Adieu ihrer Peinlichkeit wegen keine Erinnerung geblieben sei.«
    »Ich bedauere dieses Frauenzimmer«, sagte Charlotte, »dem es an Resolutheit gebrach, sich zu einem Leben

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