Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
beklagen, wenn man {255} will. – Und die Wiederholungen? – Sie haben Ihre Frisur lädiert. Ich reiche Ihnen mein Kämmchen, wenn Sie wollen. Nein, es scheint, dieselben Finger, die sie zerstörten, können sie auch wiederherstellen. – Und mit den Wiederholungen also hatte es damit ein Ende?«
»Sie sollten ein Ende haben«, erwiderte August. »Diesen Sommer, nach Mutters Tode, war Vater recht sehr in Zweifel, wo er die Badekur brauchen solle. Wiesbaden? Töplitz? Karlsbad? Man merkte ihm wohl ab, daß es ihn stark gen Westen, ins Rheinische zog, und es war, als wartete er auf ein Zeichen der günstigen Gottheit, die voriges Mal den Dämon des Krieges paralysiert, daß er seinem Hange folgen dürfe. Auch fand sich dergleichen. Sein Freund, der unterhaltende Zelter reiste nach Wiesbaden und setzte ihm zu, ihm zu folgen. Er aber wollte das Zeichen nicht annehmen, nicht geradezu. ›Sei es der Rhein‹, sagte er, ›aber nicht Wiesbaden, sondern Baden-Baden, wo der Weg denn doch einmal über Würzburg, nicht über Frankfurt führt.‹ Gut denn, der Weg brauchte nicht just über Frankfurt zu führen, um allenfalls auch dorthin zu führen. Kurzum, am 20. Juli reiste Vater ab. Er bestimmte Meyern, den Kunst-Professor, zu seinem Begleiter, der darob nicht wenig strahlte und prahlte. Aber was geschieht? Zeigte jene so günstige Gottheit sich gar empfindlich und spielte den Kobold? Zwei Stunden hinter Weimar wirft der Wagen um –«
– »Du meine Güte!« –
»und beide Insassen purzeln übereinander auf die mit soviel Selbstbeherrschung gewählte Straße, wobei Meyer recht blutig an der Nase verletzt wurde. Trotzdem denke ich nicht an ihn, der für die Freuden der Eitelkeit bezahlen mochte. Aber es ist beschämend, obgleich es auch wieder zu einer peinlichen Heiterkeit reizt, sich die feierlich ihrer bewußte Größe vorzustellen, wie sie, längst gewohnt, sich nur noch in bedachter Gemessenheit zu bewegen, mit besudelten Kleidern und aufgelöster Kragenbinde in einem Straßengraben krabbelt.«
{256} Charlotte wiederholte:
»Um Gottes willen!«
»Es war nichts«, sagte August. »Das Mißgeschick, der Schabernack, wie soll ich es nennen, lief vollkommen glimpflich ab. Vater, für sein Teil ganz unverletzt, brachte Meyern, dem er zu seinem Taschentuch auch das eigene herzlich geliehen, nach Weimar zurück und gab die Reise auf – nicht bloß für diesen Sommer, sondern es scheint, daß er, durch das Omen bestimmt, dem Rheinischen ein für allemal entsagt hat: ich entnehme das seinen Aeußerungen.«
»Und die Liedersammlung?«
»Was braucht die noch weiteren Antrieb durchs Rheinische! Die wächst und gedeiht zum ungeheuer Merkwürdigsten längst auch ohne dieses, ja vielleicht besser als mit ihm, – was denn die freundliche Kobold-Gottheit im Grund auch wohl wußte. Vielleicht wollte sie die Lehre statuieren, daß gewisse Dinge nur als Mittel zum Zweck erlaubt und gerechtfertigt sind.«
»Als Mittel zum Zweck!« sprach ihm Charlotte nach. »Kann ich die Redensart doch nicht ohne Beklemmung hören! Das Ehrenvolle vermischt sich darin mit dem Erniedrigenden auf eine Weise, daß niemand sie scheidet und niemand weiß, was für ein Gesicht er zu der Sache machen soll.«
»Und doch«, erwiderte August, »gibt es im Lebenskreis eines Herrschers, ob's nun ein guter oder ein böser Kaiser sei, gar Vieles, was man zu dieser zweideutigen Kategorie zu zählen genötigt ist.«
»Wohl«, sagte sie. »Nur kann man auch alles so oder so beziehen; es kommt auf den Gesichtswinkel an. Und ein irgend resolutes Mittel wird denn auch wohl einen Zweck aus sich selber zu machen wissen. – Aber wie muß man Sie nicht«, setzte sie hinzu, »lieber Herr Kammer-Rat, um die vor-oeffentliche Kenntnis jenes merkwürdigen Liederschatzes beneiden! Das ist {257} ein wahrhaft schwindelnder Vorzug. Ihr Vater vertraut Ihnen vieles an?«
»Das mag man wohl sagen«, antwortete er mit kurzem Lachen, bei dem er seine kleinen, weißen Zähne zeigte. »Die Riemer und Meyer bilden sich zwar das Erdenkliche ein und wissen sich dies und das vor der Welt mit ihren Weihegraden, allein mit einem Sohn ist es denn doch immer noch ein ander Ding, als mit solchen Zufallsadlaten, – man ist von Natur und Stand zum Gehilfen und Repräsentanten berufen. Da fällt einem, sobald man nur irgend in Jahren ist, manche schickliche Negotiation und hausväterliche Sorge zu, die von einer Würde zu entfernen sind, darin der Genius sich mit dem Alter
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