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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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ein Zerrbild der Gerechtig {262} keit? Ich bin nur froh, daß ich die Negotiation nicht mündlich zu führen habe; ich stünde nicht für meine Ruhe und Höflichkeit bei solchen Antworten. Allein die Sache wird weiter betrieben, es ist noch nicht aller Tage Abend. Scharf und geduldig werde ich duplizieren, und schließlich werden wir sowohl das Druck-Privileg wie den Erlaß der Abzugssumme erzielen, ich gebe mich eher nicht zufrieden. Vaters Einkommen entspricht nicht seinem Genie. Es ist zeitweise nicht gering, natürlich nicht, Cotta zahlt 16000 Taler für die Gesamtausgabe, gut, das ist allenfalls angemessen. Aber eine Stellung, ein Ruhm wie Vaters müßte ganz anders sich realisieren lassen, ganz anders müßte eine so freigebig beschenkte Menschheit dem Spender sich tributär erweisen und der größte Mann auch der reichste sein. In England …«
    »Als praktische Frau und langjährige Hausmutter kann ich Ihren Eifer nur loben, lieber Herr Kammer-Rat. Bedenken wir aber, daß, wenn eine wirkliche Relation zwischen den Gaben des Genies und ökonomischem Entgelt überall aufzustellen und durchzuführen wäre – was nicht der Fall ist –, das schöne Wort von der beschenkten Menschheit nicht mehr am Platze wäre.«
    »Ich räume die Inkongruenz der Gebiete ein. Auch sehen die Menschen es ja nicht gern, daß große Männer sich wie ihresgleichen gebärden und verlangen vom Genius, daß er sich gegen weltlichen Vorteil edelmütig-gleichgültig verhalte. Die Menschen kommen mir albern vor in ihrer egoistischen Verehrungssucht. Ich habe sozusagen von Kindesbeinen unter großen Männern gelebt und fand, daß solche Gesinnung garnicht zum Genius gehört, – im Gegenteil, der hochfliegende Geist hat auch einen hochfliegenden Geschäftssinn, und Schillers Kopf steckte immer voll von pekuniarischen Spekulationen, was auf Vater nicht einmal zutrifft, vielleicht weil sein Geist nicht dermaßen hochfliegend ist und dann auch, weil er {263} es nicht so nötig hatte. Aber als ›Hermann und Dorothea‹ einen so schönen popularischen Erfolg hatte im Lande, sagte er zu Schiller, man sollte einmal ein Theaterstück in diesem gemütlichen Geiste schreiben, das im Triumph über sämtliche Bühnen gehen und ein großes Stück Geld bringen müßte, ohne daß es dem Autor gerade sonderlich ernst damit gewesen zu sein brauchte.«
    »Nicht ernst?«
    »Nicht ernst. Schiller fing auch gleich an, aus dem Stegreif ein solches Stück zu entwerfen, und Vater sekundierte ihm munter dabei. Aber es wurde dann nichts daraus.«
    »Doch eben wohl, weil es kein rechter Ernst damit war.«
    »Das mag sein. Gleichwohl habe ich kürzlich einen Brief an Cotta ins Reine geschrieben, des Inhalts, man solle doch die Zeit-Konjunktur der gegenwärtigen vaterländischen Erhebung nutzen, um ein Gedicht, das so artig damit harmoniere wie ›Hermann und Dorothea‹, buchhändlerisch kräftiger zu propagieren.«
    »Einen Brief Goethe's?« Charlotte schwieg einen Augenblick. »Da sieht man wieder«, sagte sie dann mit Nachdruck, »wie falsch es ist, ihm Entfremdung vom Zeitgeist nachzusagen.«
    »Ach, der Zeitgeist«, erwiderte August geringschätzig. »Vater ist ihm weder entfremdet, noch ist er sein Partisan und Sklave. Er steht hoch über ihm und sieht von oben auf ihn hinab, weshalb er ihn denn auch gelegentlich sogar vom merkantilischen Standpunkt zu betrachten vermag. Längst hat er sich vom Zeitlichen, Individuellen und Nationellen zum Immer-Menschlichen und Allgemein-Gültigen erhoben – das war es ja, wobei die Klopstock und Herder und Bürger nicht mitkonnten. Aber nicht mitzukönnen, das ist nur halb so schlimm, wie sich einzubilden, voranzusein und über das Zeitlos-Gültige hinaus zu sein. Und da sind nun unsere Romantiker, Neu-Christen und neupatriotischen Schwarmgeister, die glauben, {264} weiter zu sein als Vater und das Neueste zu repräsentieren im Reich des Geistes, das er nicht mehr verstünde, und in dem Publikum glaubt's mancher Esel auch. Gibt es auch wohl etwas Elenderes als den Zeitgeist, der das Ewige und Klassische möchte überwunden haben? Aber Vater gibt's ihnen, Sie können versichert sein, er gibt es ihnen unter der Hand, ob er sich gleich die Miene gibt, als achtete er der Beleidigungen nicht. Versteht sich, er ist zu weise und vornehm, sich auf literarische Händel einzulassen. Aber unter der Hand und für die Zukunft hält er sich schadlos – nicht nur an den Gegnern und am Zeitgeist, sondern auch an der eigenen

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