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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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sich ausgedrückt hat, so mag das immerhin damit zusammenhängen, daß ich, das ehemalige Persönchen, diesen Augen einst wohlgefiel, woraus ja eben folgt, daß ich Ihre Mutter sein könnte, und was es so sehr genau zu prüfen gilt, das ist, ob Sie es eigentlich sind, der sie liebt, oder ob Sie am Ende auch hier nur der Repräsentant und Kommissionär Ihres Vaters sind. Daß Sie den Ritter Arnim liebten und gern sein Freund hätten sein mögen, wenn es nach Ihrem Herzen gegangen wäre, sehen Sie, das war eine eigene Sache und eine Sache Ihrer Generation, aber dieses hier, so kommt mir vor, ist vielleicht nur eine Sache zwischen uns Alten. Daher meine Sorge. Glauben Sie nicht, daß ich ohne Sinn für den Reiz einer Verbindung bin, mit der, wenn ich so sagen darf, was die Alten sich versagten und versäumten, von den Jungen nachgeholt und verwirklicht würde. Und doch muß ich Sie auch wieder auf das höchst Bedenkliche der Sache entschieden hinweisen, da es sich sozusagen um Geschwister handelt …«
    Sie legte die Hand im gehäkelten Halbhandschuh über die Augen.
    {281} »Nein«, sagte sie, »verzeihen Sie, mein Kind, es ist wie ich vorhin schon gestehen mußte, daß ich nämlich meiner Worte und, um die Wahrheit zu sagen, schon meiner Gedanken nicht mehr in vollem Umfange sicher bin. Sie müssen mich alte Frau entschuldigen – ich kann nur wiederholen, daß ich mich eines Tages wie dieses, mit Anforderungen wie er sie mir brachte, überhaupt nicht entsinne. Es focht mich eben ein veritabler Schwindel an …«
    Der Kammerrat, der während der letzten Minuten sehr gerade, ja starr auf seinem Stuhle gesessen hatte, raffte sich bei diesen Worten eiligst davon auf.
    »Um Gott«, rief er, »ich muß mich anklagen – ich habe Sie ermüdet, es ist ganz unverzeihlich! Wir haben vom Vater gesprochen, das ist meine einzige Entschuldigung, denn dieses Thema, obgleich gar keine Aussicht ist, damit zu Rande zu kommen, läßt einen so leicht nicht … Ich ziehe mich zurück – und hätte es« (er schlug sich mit der Handwurzel gegen die Stirn) »nun gar beinahe getan, ohne mich des Auftrags zu entledigen, der meine einzige Legitimation war, Ihnen zur Last zu fallen.« Er nahm sich zusammen und sagte leise, in leicht vorgebeugter Haltung: »Ich habe die Ehre, der Frau Hofrätin die Willkommsgrüße meines Vaters zu übermitteln und sein Bedauern zugleich, daß er sich nicht sogleich wird blicken lassen können. Er sieht sich durch einen Rheumatism im linken Arm etwas in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Er würde es sich aber zur Ehre und Freude rechnen, wenn Frau Hofrätin nebst Dero Lieben, Kammerrat Ridels und respektiven Demoiselles Töchtern, den kommenden Freitag, also in drei Tagen von heute, um halber 3 in kleinem Kreise bei ihm zu Mittag speisen wollten.«
    Charlotte hatte sich, leicht schwankend, ebenfalls erhoben.
    »Recht gern«, antwortete sie, »vorausgesetzt, daß meine Verwandten auf den Tag noch frei sind.«
    {282} »Ich darf mich beurlauben«, sagte er in geschlossener Verbeugung und in Erwartung ihrer Hand.
    Sie trat, etwas schwankend, auf ihn zu, nahm seinen jungen Kopf mit dem Backenbärtchen, dem Wuschelhaar zwischen ihre Hände und küßte ihn, wie es bei seiner entgegengeneigten Haltung nicht unbequem war, mit zarten Lippen auf die Stirn.
    »Leb' er wohl, Goethe«, sagte sie. »Hab' ich Ungereimtes geredet, so vergeß er's, ich bin eben die Frischeste nicht. Vorher waren schon Rose Cuzzle und Doktor Riemer und die Schopenhauerin da, und außerdem gab es noch Mager und das Weimarer Publikum, und alles war für meine Verhältnisse übertrieben interessant. Geh' er, mein Sohn, über drei Tage komm' ich zu Mittag, – warum denn nicht? Hat er doch auch so manches Mal seine sauere Milch bei uns gehabt im Deutschordenshause. Mögt ihr euch leiden, ihr Jungen, so nehmt euch, tut's ihm zu Liebe und seid glücklich in eueren Oberstuben! Ich habe keinen Beruf, euch davon abzureden. Gott mit ihm, Goethe, Gott mit ihm mein Kind!«

{283} Das siebente Kapitel
    O, daß es schwindet! Daß das heitere Gesicht der Tiefe sich endigt, schleunig, wie auf den Wink eines launisch gewährenden und entziehenden Dämons, in nichts zerfließt und ich emportauche! Es war so reizend! Und nun, was ist? Wo kommst Du zu dir? Jena? Berka? Tennstädt? Nein, das ist die Weimarer Steppdecke, seiden, die heimische Wandbespannung, der Klingelzug … Wie, in gewaltigem Zustande? In hohen Prächten? Brav, Alter! So sollst du,

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