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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Menschen Vorrecht auf Erden, daß er die Dinge bei Namen nennt und ins System bringt. Da schlagen sie sozusagen die Augen nieder vor ihm, wenn er sie anruft. Name ist Macht.«
    »Soll ich das nicht aufschreiben, Ew. Excellenz, oder haben es schon Herrn Dr. Riemer gesagt, daß er es sich vielleicht notiert?«
    »Ach was, ihr müßt nicht so aufpassen.«
    »Man soll aber doch nichts umkommen lassen, Ew. Excellenz, auch nicht in einem großen Haushalt. Und das Buch über die Wolken, das hab ich wohl liegen sehn nebenan. Worum Ew. Excellenz sich alles kümmern, da muß der Mensch sich schon wundern. Den Interessenbezirk von Ew. Excellenz, den kann man geradhin universell nennen.«
    »Dummkopf, wo nimmst du denn solche Ausdrücke her.«
    »Ist aber doch wahr, Ew. Excellenz. – Soll ich nun nicht erst mal eben nachsehen, was die Raupe macht, das schöne Exemplar von der Wolfsmilchraupe, ob sie auch frißt?«
    »Die frißt nicht mehr, die hat genug gefressen, erst draußen und dann bei mir in der Observation. Die hat schon angefan {302} gen, sich einzuspinnen, wenn du nachgucke willst, so thu's, man sieht ganz deutlich, wie sie den Spinnsaft absondert aus ihrer Drüse, bald wird sie verpuppt sein, ein Cocon, und es soll mich doch wundern, ob wir's erleben, daß sich die Wandlung vollzieht und die Psyche daraus hervorschlüpft, ihr kurzes, leichtes Flatterleben zu führen, wofür sie als Wurm soviel gefressen.«
    »Ja, Ew. Excellenz, das sind so die Wunder der Natur. Wie ist es denn nun mit dem Diktieren?«
    »Recht, ja, es sei. Ich muß das Gutachten für Seine königliche Hoheit den Großherzog machen wegen der vermaledeiten Zeitschrift. Nimm das weg hier, sei so gut, und gib mir die Notizenblätter und den Bleistift, die ich da gestern bereit gelegt.«
    »Hier, Ew. Excellenz. Daß ich Ew. Excellenz nur lieber die Wahrheit sage: Herr Schreiber John ist nämlich auch schon da und hat fragen lassen, ob es nicht was für ihn aufzunehmen giebt. Aber ich tät' mich so freuen, wenn ich dableiben dürft', und kriegte das Gutachten erst mal diktiert. Für Herrn Bibliothek-Sekretär wird ja nach dem Aufstehen immer noch Dienst genug –«
    »Ja, bleib nur, mach dich nur fertig. John kommt mir immer früh genug – ob er schon meistens zu spät kommt. Mag nachher drankommen.«
    »Danke Ew. Excellenz recht von Herzen.«
    Ganz angenehmer Mensch, von leidlicher Gestalt und geschickten Manieren bei der Aufwartung und im näheren Dienst meiner Person. Und das Einschmeichelnde kommt nicht aus Berechnung – oder nur zum Teil – sondern aus redlicher Ergebenheit, mit einiger Eitelkeit gemischt, und aus natürlichem Liebesbedürfnis. Eine zärtliche Seele, gutartig und sinnlich und hats mit den Weibern. Ich glaub, daß er quacksalbert, weil er sich nach der Rückkehr von Tennstädt was {303} zugezogen. Vermut ich recht, so kann er nicht bleiben. Werd mit ihm reden müssen – oder August beauftragen – nein, den nicht, Hofmedicus Rehbein. Im Bordell trifft der Jüngling das Mädchen wieder, das er geliebt, und das ihn auf alle Weise geknechtet und gequält hat, wofür er nun Wiedervergeltung übt. Hübscher Vorwurf. Wäre was gar Heiter-Hartes und Eindringliches daraus zu machen, gerade in bester Form. Ach, was könnte man Starkes und Merkwürdiges anbieten, wenn man in einer freien, geistreichen Gesellschaft lebte! Wie ist die Kunst gebunden und durch matte Rücksichten eingeschränkt in ihrer natürlichen Kühnheit! Das ist ihr aber vielleicht auch wieder gut, und sie bleibt geheimnisvoll-mächtiger, gefürchteter und geliebter, wenn sie nicht nackend geht, sondern schicklich verhüllt und nur hie und da ihre angeborene Verwegenheit erschreckend und entzückend einen Augenblick offenbart. Grausamkeit ist ein Haupt-Ingrediens der Liebe und ziemlich gleichmäßig auf die Geschlechter verteilt: die Grausamkeit der Wollust, die Grausamkeit des Undanks, der Unempfindlichkeit, des Unterjochens und Maltraitements. Die Lust am Leiden und am Erdulden der Grausamkeit übrigens ebenso. Und noch fünf, sechs andere Verkehrtheiten – wenn es Verkehrtheiten sind – aber das mag ein moralisches Vorurteil sein –, welche in chymischer Verbindung, ohne daß noch was andres hinzukäme, die Liebe machen. Wäre die liebe Liebe aus lauter Perhorreszibilitäten zusammengesetzt, das Lichteste aus lauter uneingeständlichen Dunkelheiten. Nil luce obscurius? Sollte Newton doch recht haben? Nun, laß gut sein, jedenfalls ist der Roman des

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