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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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von Neckarelz die Höhe hinauf durchs Kalkgebirge, wo wir Versteinerungen fanden und Ammonshörner. Oberschefflenz – Buchen – Wir aßen in Hardheim zu Mittag im Wirtsgarten. Da war die junge Bedienerin, die es mir anthat mit ihren verliebten Augen, und an der ich ihm demonstrierte, wie Jugend und Eros aufkommen fürs Schöne, denn sie war unhübsch, aber erz-attraktiv und wurd es noch mehr vor schämig-spöttischer Erhöhtheit, da sie merkt, der Herr spräch von ihr, was sie ja merken sollt, und er merkts auch natürlich, daß ich nur sprach, damit sie merke, ich spräche von ihr, hatt aber eine musterhafte Haltung in solcher Bewandtnis, weder gêniert noch unfein – das ist katholische Kultur – und war von der heiter-günstigsten Gegenwart, als ich ihr den Kuß gab, den Kuß auf die Lippen.
    Himbeeren, auf denen die Sonne steht. Erwärmter Fruchtgeruch, unverkennbar. Kochen sie ein im Hause? Ist doch die Jahreszeit nicht. Ich hatts in der Nase. Ist ein gar lieber Duft und reizend die Beere, schwellend vom Saft unter der sammtenen Trockenheit, warm vom Lebensfeuer wie Frauenlippen. Ist die Liebe das Beste im Leben, so in der Lieb das Beste der Kuß, – Poesie der Liebe, Siegel der Inbrunst, sinnlich-platonisch, Mitte des Sakraments zwischen geistlichem Anfang und fleischlichem End, süße Handlung, vollzogen in höherer Sphäre, als das da, und mit reinern Organen des Hauchs und der Rede, – geistig, weil noch individuell und hoch unterscheidend, – zwischen deinen Händen das einzigste Haupt, rückgeneigt, unter den Wimpern den lächelnd ernst vergehenden {316} Blick in deinem, und es sagt ihm dein Kuß: Dich lieb und mein ich, dich, holde Gotteseinzelheit, ausdrücklich in aller Schöpfung dich, – da das Zeugen anonym-kreatürlich, im Grund ohne Wahl, und Nacht bedeckts. Kuß ist Glück, Zeugung Wollust, Gott gab sie dem Wurme. Nun, du würmtest nicht faul zu Zeiten, aber deine Sache ist eher doch das Glück und der Kuß, – flüchtiger Besuch der wissenden Inbrunst auf rasch verderblicher Schönheit. Auch ists der Unterschied von Kunst und Leben, denn die Fülle des Lebens, der Menschheit, das Kindermachen ist nicht Sache der Poesie, des geistigen Kusses auf die Himbeerlippen der Welt … Lottens Lippenspiel mit dem Kanarienvogel, wie sich das Tierchen so lieblich in die süßen Lippen drückt und das Schnäbelchen dann den Weg von ihrem Munde zum anderen macht in pickender Berührung, ist gar artig infam und erschütternd vor Unschuld. Gut gemacht, talentvoller Graßaff, der schon von Kunst so viel wußt wie von Liebe und heimlich jene meint, wenn er diese betrieb, spatzenjung und schon ganz bereit, Liebe, Leben und Menschheit an die Kunst zu verraten. Meine Lieben, meine Erzürnten, es ist getan, zur Leipziger Messe ists ausgegeben, verzeiht mir, wenn ihr könnt. Muß, meine Besten, noch euch und euern Kindern ein Schuldner werden für die bösen Stunden, die euch meine – nennts, wie ihr wollt, gemacht hat. Haltet, ich bitt euch, Stand! – War um die Jahreszeit, daß ichs schrieb, in grauen Spatzenzeiten. Fiel mir genau wieder ein, der Brief, wo mir dies Frühjahr die Erstausgabe wieder zu Handen kam und ich das tolle Gemächte zum erstenmal wieder durchging nach soviel Jahren. War kein Zufall, mußte mir vorkommen, gehört zum Übrigen als letztes Glied, die Lektüre, von alldem, was begann mit Sulpizens Besuch, gehört zur wiederkehrenden Phase, zur Lebenserneuerung, geistverstärkt, zur hoch-heiteren Feier der Wiederholung … Übrigens glänzend gefügt, das Ding, Respekt, mein Junge, vorzüglich, das psychologische {317} Gewebe, der dichte Reichtum an seelischem Beleg. Gut, das Herbstbild des Blumen suchenden Irren. Nett, wie die liebe Frau ihre Freundinnen durchdenkt für den Freund und an jeder was auszusetzen findet, ihn keiner gönnt. Könnte schon aus den Wahlverwandtschaften sein. Soviel gescheite Sorgfalt bei soviel Gefühlsverlorenheit und Sehnsuchtsstürmen gegen die Schranken des Individuums, die Kerkermauern des Menschseins. Verstehe schon, daß es einschlug, und wer damit anfing, ist eben doch keine Katze. Wie etwas sei leicht, weiß, der es erfunden und der es erreicht. Leicht, glücklich wie Kunst, ists durch die briefliche Composition, das Momentane, das Immer-neu-Ansetzen, – ein welthaft Beziehungssystem lyrischer Einheiten. Talent ist, sichs schwer zu machen – und zu verstehen auch wieder, wie man sichs leicht macht. Mit dem Divan ists ganz dasselbe, –

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