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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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fest, Handwerkerhand, vermacht von Hufschmied- und Metzgergeschlechtern. Was muß an Zartheit und Tüchtigkeit, an Schwäche und Charakter, infirmité und Derbheit, Wahnsinn und Vernunft, ermöglichter Unmöglichkeit sich glücklich-zufällig verbunden, durch die Jahrhunderte sich familiär herangemischt haben, damit am Ende das Talent, das Phänomen erscheine? Am Ende. Erst eine Reihe Böser oder Guter bringt endlich das Entsetzen, bringt die Freude der Welt hervor. Den Halbgott und das Ungeheuer, – dacht ich sie nicht zusammen, als ich das schrieb, nahm ich nicht eins fürs andere und wußt ich nicht, daß es ohn einiges Entsetzen in der Freude, ohne das Ungeheuer im Halbgott nicht abgeht? Böse und gut – was weiß Natur davon – da sie nicht einmal von Krankheit und Gesundheit viel weiß und aus dem Kranken Freude und Belebung schafft? Natur! Zuerst bist du mir durch mich selbst gegeben – ich ahnde dich am tiefsten durch mich selbst. Darüber gabst du mir Bescheid: Erhalten Geschlechter sich lange, so kommts, daß, ehe sie aussterben, ein Individuum erscheint, das die Eigenschaften seiner sämtlichen Ahnen in sich begreift und alle bisher vereinzelten und angedeuteten Anlagen vereinigt und vollkommen ausspricht. Sauber formuliert, sorgsam-lehrhaft bemerkt, den Menschen zu bessrer Kenntnis, – Wissenschaft der Natur, besonnen abgezogen vom eignen nicht geheueren Sein. Egocentrisch –! Es soll wohl Einer nicht egocentrisch sein, der sich Naturziel, Résumé, Vollendung, Apotheose weiß, ein Hoch- und Letztergebnis, das herbeizuführen Natur sich das Umständlichste hat kosten lassen! Aber war nun diese ganze Anzucht und Bürgerhecke, dies Sich kreuzen und gatten der Sippen durch die Jahrhunderte, wo der aus Nachbarlandschaft zugewandert Gesell nach Brauch die Meisterstochter freite, die gräflich Lakai- und Sarctorsdirn dem geschwornen Landmesser oder studierten Amtswalter sich copuliert, – war dies Quodlibet von Stammesblutwerk nun so {323} sonderlich glückhaft günstig und gottbetreut? Die Welt wirds finden, da es zu mir führt, in dem Anlagen, gefährlichste, durch Charakterkräfte, die man woanders hernahm, überwunden, genutzt, verklärt, versittlicht wurden, zum Guten und Großen gewendet und gezwungen. Ich – ein Balance-Kunststück genauer Not, knapp ausgewogner Glücksfall der Natur, ein Messertanz von Schwierigkeit und Liebe zur Fazilität, ein Nur-gerade-möglich, das gleich auch noch Genie – mag sein, Genie ist immer ein Nur-eben-möglich. Sie würdigen, wenns hoch kommt, das Werk, – das Leben würdigt keiner. Ich sag euch: Machs Einer nach und breche nicht den Hals!
    Was wars mit deiner Ehescheu, deinem fliehenden Verbots- und Unsinnsgefühl vor bürgerlich fortsetzender Verbindung nach dem Muster der Ahnen, zwecklosem Weiter-Laborieren über das Ziel hinaus? Mein Sohn, Frucht lockeren Behelfs, mißbilligt libertinischer Bettgenossenschaft, – er ist ein Drüber hinaus, ein Nachspiel, weiß ich das nicht? Natur schaut kaum noch hin – und ich hab die Grille, zu thun, als dürft und könnt ichs in ihm noch einmal beginnen, verkuppel ihn mit dem Persönchen, weils vom Schlage derer, vor denen ich floh, okulier uns das preußisch Blut, damit das Nachspiel noch einen Ausklang auch habe, bei dem Natur gähnend und achselzukkend nach Hause geht. Ich weiß Bescheid. Aber Bescheid wissen ist eins, ein andres das Gemüt. Das will sein Recht quand même – auch gegen das kalte Wissen. Es wird stattlich und freundlich aussehen vorerst, im Hause wird eine Lilli walten, mit der galant der Alte scherzt, und will es Gott, so wird man Enkel haben, lockige Enkel, Schattenenkel, den Keim des Nichts im Herzen, – ohne Glauben und Hoffnung wird man sie lieben von Gemütes wegen.
    Sie war ohne Glauben, Liebe und Hoffnung, Cornelia, das Schwesterherz, mein weiblich Neben-Ich, zum Weibe nicht geschaffen. War nicht ihr Gattenekel das physische Gegenstück {324} zu deiner Eheflucht? Indefinibles Wesen, bitter-fremd auf Erden, sich selbst nicht und keinem verständlich, harte Aebtissin, im ersten unnatürlichen, verhaßten Kindbett wunderlich verdorben und gestorben – das war dein leiblich Geschwister, – das einzige, das mit dir, zu seinem Unheil, von vier anderen, die frühsten Tage überlebte. Wo sind die anderen, das allzu schöne Mägdlein, der stille, eigensinnige, fremdartige Knabe, der mein Bruder war? Längst nicht mehr da, entschwunden gleich wieder und kaum beweint, soweit ich

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