Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
wunderlich, wie es immer wieder dasselbe ist. Divan und Faust, schon recht, aber Divan und Werther sind ja Geschwister noch mehr, besser gesagt: dasselbe auf ungleichen Stufen, Steigerung, geläuterte Lebenswiederholung. Mög es immer und ins Unendliche so weiter gehen, sich ein büßendes Gewinnen in die Ewigkeiten steigern! … Vom Küssen ist reichlich die Rede, im frühen, im späten Liede. Lotte am Klavier, und ihre Lippen, die man nie so reizend gesehen, da es war, alsob sie sich lechzend öffneten, die süßen Töne zu schlürfen, – war das nicht Marianne schon, akkurat, oder richtiger: wars diese nicht wieder, wie sie Mignon sang, und Albert saß auch dabei, schläfrig und duldsam? War schon wie ein Festbrauch diesmal, Ceremonie, Nachahmung des Ur-Gesetzten, feierlicher Vollzug und zeitlos Gedenkspiel, – weniger Leben, als erstmals, und auch wieder mehr, vergeistigtes Leben … Gut denn, die hohe Zeit ist geschlossen, und diese Verkörperung seh ich nicht wieder. Wollts, ward aber bedeutet, ich sollts nicht, da heißt es entsagen, neuer Erneuerung ausdauernd gewärtig. Bleiben wir! Die Geliebte kehrt wieder zum Kuß, immer jung, – (eher ap {318} prehensiv nur freilich; zu denken, daß sie in ihrer der Zeit unterworfenen Gestalt, alt, auch daneben noch irgendwo lebt, – nicht eben ganz so behäglich und billigenswert, wie daß auch der Werther fortbesteht neben dem Divan.)
Aber dieser ist besser, zur Größe gereift, übers Pathologische rein hinaus, und das Paar ist musterhaft worden, höheren Sphären entgegengesteigert. Wird dir der Kopf doch heiß, wenn du denkst, was sich der Grünschnabel damals im Motivierungsraptus alles geleistet. Gesellschaftsrebellion, Adelshaß, bürgerliche Gekränktheit, – mußtest du das hineinmengen, Tölpel, ein politisch Gezündel, das alles herabsetzt? Der Kaiser hatte ganz recht, es zu tadeln: Warum habt ihr doch das gemacht? Ein Glück nur, daß mans nicht achtete, mit den übrigen Leidenschaftlichkeiten des Buchs in den Kauf nahm und sich versichert hielt, es sei auf unmittelbare Wirkung nicht abgesehn. Dummes, grünes Zeug und obendrein subjektiv unwahr. War doch meine Stellung gegen die oberen Stände sehr günstig, – will ich unbedingt nachher für den vierten Teil des Lebens diktieren, daß ich dank dem Goetz, was auch an Schicklichkeiten bisheriger Literatur darin mochte verletzt sein, gegen die obern Stände sogar vorzüglich gestellt war … Wo ist mein Schlafrock? Schellen dem Carl zum Frisieren. The readiness is all – es könnte Besuch kommen. Angenehmer weißer Flanell, auf dem sichs so gut die Hände im Rücken verschränkt. Ging darin morgens den Bogengang gegen den Rhein auf und ab zu Winkel bei den Brentano's und den Altan bei Willemers auf der Mühle. Traute sich niemand, mich anzureden dabei, aus Scheu vor meinen Gedanken, obgleich ich manchmal an garnichts dachte. Ist ganz behaglich, alt und groß zu sein, und Ehrfurcht ist notwendig. Ja, wohin nicht schon überall hat mich der milde Rock begleitet, – häusliche Gewohnheit, die man mit sich auf Reisen nimmt, um sein bleibend Selbst damit zu verteidigen und Trutz zu bieten dem Fremden. So mit dem {319} silbernen Becher, den ich mir einpacken laß überall hin und den erprobten Wein auch dazu, daß mirs nirgend fehle und sich die übrigens lehr- und genußreiche Fremde nicht stärker erweise als ich und meine Gewohnheit. Man hält auf sich, man beharrt auf sich – mäkelt da Einer was von Erstarrung, ists dumm gemäkelt, denn gar kein Widerspruch ist zwischen Beharren, dem Trachten nach Lebenseinheit, dem Zusammenhalten des Ich – und der Erneuerung, der Verjüngung: all'incontro, diese gibts nur in der Einheit, im sich schließenden Kreis, dem todverbannenden Zeichen … »Mach mich schön, Figaro, Battista, oder wie du schon heißt! Mach mir das Haar, das Stoppelfeld hab ich mir selber schon weggestrichen, – du nimmst einen ja bei der Nase, wenns an die Lippe kommt, bäurische Gewohnheit, kann ich nicht ausstehen – kennst du die Geschichte von dem Studenten und Suitenreißer, der sich vor seinen Kumpanen vermaß, den alten Herrn von Stande an der Nase zu ziehen und sich als Bartscherer bei ihm introduziert', da er ihn denn heimlich vor aller Augen am Giebel nahm und ihm das würdge Gesicht daran hin- und herzog, worauf der Streich aufkam und den alten Herrn vor Verdruß der Schlag rührte, der Suitier aber vom Sohn im Duell fürs Leben was abkriegte?«
»Kenn' ich
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