Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
mich entsinne. Geschwistertraum, kaum noch erkennbar, dreiviertel vergessen. Zum Bleiben ich, zum Scheiden ihr erkoren, gingt ihr voran – und habt nicht viel verloren. Ich lebe an eurer Statt, auf eure Kosten, wälze den Stein für fünfe. Bin ich so egoistisch, so lebenshungrig, daß ich mördrisch an mich zog, wovon ihr hättet leben können? Es gibt tiefere, verborgenere Schuld, als die wir wissentlich empirisch auf uns laden. Oder rührt dies seltsame Gebären für Ein bedeutend Leben, sonst aber für den Tod, daher, daß der Vater doppelt so alt war, als die Mutter, da er sie freite? Gesegnet Paar, begnadet, den Genius der Welt zu schenken. Unglücklich Paar! Das Mütterchen, die Frohnatur, verbrachte die besten Jahre als Pflegenonne eines dekrepiten Tyrannen. Cornelia haßte ihn – vielleicht nur, weil er sie in die Welt gesetzt; war aber der morose, berufsuntätge Halbnarr, der Eigenbrötler und lastende Pedant, dem jeder Luftzug die mühsame Ordnung störte, der quärulierende Hypochondrist, nicht hassenswert auch sonst? Du hast viel von ihm, Statur und manches Gehaben, die Sammel-Lust, die Förmlichkeit und Polypragmosyne, – verklärtest seine Pedanterie. Je älter du wirst, je mehr tritt der gespenstische Alte in dir hervor, und du erkennst ihn, bekennst dich zu ihm, bist mit Bewußtsein und trotziger Treue wieder er, das Vater-Vorbild, das wir ehren. Gemüt, Gemüt, ich glaubs und wills. Das Leben wäre nicht möglich ohne etwelche Beschönigung durch wärmenden Gemütstrug, – {325} gleich drunter aber ist Eiseskälte. Man macht sich groß und verhaßt durch Eiseswahrheit und versöhnt sich zwischenein, versöhnt die Welt durch fröhlich-barmherzige Lügen des Gemüts. Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann – will sagen, er war das späte Kind betagter Eltern und hatte einen Bruder, der klärlich verrückt war und in Verblödung starb – wie schließlich auch der Vater. Urahne war der Schönsten hold, – o ja, von fröhlich aufstutzenden Gemütes wegen, der Textor war es, meiner Mutter Vater, ein Schlemmer, kalt gedacht, und Schürzenjäger, schimpflich ertappt von grimmigem Gatten, aber ein Wahrträumer dabei, der Gabe der Weissagung teilhaftig. Wunderlich Gemisch! Wahrscheinlich mußt ich all meine Geschwister töten, damits in mir ansprechend-genehmere Formen annahm, weltgewinnende – ist aber hinlänglicher Wahnsinn übrig in mir, als Untergrund des Glanzes, und hätt ich das Aufrechthalten in Ordnung nicht ererbt, die Kunst sorgfältiger Schonung, eines ganzen Systems von Schutzvorrichtungen – wo wär ich! Wie ich den Wahnsinn hasse, die verrückte Genialität und Halbgenialität und schon das Pathos, die excentrische Gebärde, die Lautheit verachte und in der Seele meide, ich kanns nicht sagen, es ist unaussprechlich. Kühnheit – das Best und Einzige, unentbehrlich – aber ganz still, ganz schicklich, ganz ironisch, in Convention gebettet, so will und bin ichs. Da war der Kerl, wie hieß er, von Sonnenberg, den sie den Cimbrier nannten, von Klopstock kommend, wild und wüst gebarend, wenn auch gutherzig im Grund. Sein groß Geschäft war ein Gedicht vom Jüngsten Tag, tolles Unternehmen, toll ohne Höflichkeit, apokalyptisch Unwesen, entsetzlich energumenisch vorgetragen. Mir ward übel, wie mir beim Armen Heinrich übel wurde. Schließlich stürzt das Genie sich aus dem Fenster. Abwehr, Abwehr. Fahr hin!
Nur gut, daß er mich anständigst zurechtmacht, würdig elegant ein wenig nach alter Zeit. Wenn Besuch kommt, werd {326} ich mit gemessener Stimme zu beiderseitiger Beruhigung gleichgültige Dinge reden und nach nichts weniger aussehn, als nach Genie und Umbratilität, woran die liebe Mittelmäßigkeit halb ängstlich, halb belustigt sich auferbauen möchte. Sie haben einander dann immer noch genug zu melden von meinem Mäsklein, dieser Stirn, den vielbeschrieenen Augen, die ich, zufolg den Bildern, nebst Kopfgestalt und Mund und mittelmeerländischem Teint ganz einfach von Mutters Mutter habe, der selig Lindheymerin, verehelichten Textor. Was ist es mit unsrer physiognomischen Hülle? Das alles war vor hundert Jahren schon da und wollte damals nicht mehr besagen, als eine rüstig-gescheite, braun-handsame Weibsnatur. Dann schliefs in der Mutter, die von ganz andrem Schlag, und wurde in mir zum Ausdruck, zur persona und Apparence dessen, was ich bin, – nahm eine geistige Repräsentanz an, die es sonst keineswegs besaß und nie hätt zu gewinnen brauchen. Mit welcher
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