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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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riesigen Juno-Büste beisammen und unterbrachen ihr Geplauder, um den Gemeldeten, vielmehr Einer von ihnen, wie diese wohl wußte, mit hohen Augenbrauen und sich zur Vorstellung bereit machend entgegenzublicken. Da aber im selben Augenblick schon der Livrierte die Namen weiterer Gäste verkündete, nämlich des Herrn Hofkammerrat Kirms und seiner Gattin, die mit dem Sohn des Hauses hereintraten, und denen die Damen Meyer und Riemer auf dem Fuße folgten, sodaß, wie es in kleinen Verhältnissen und bei kurzen Wegen zu sein pflegt, die Geladenen plötzlich und fast mit einem Schlage beisammen waren, – so wurde diese Vorstellung allgemein, und Charlotte, Mittelpunkt eines kleinen Gedränges, machte durch Dr. Riemer und den jungen Herrn von Goethe die Bekanntschaft aller ihr noch fremden Personen auf einmal, der Kirms sowohl wie des Oberbaurats Coudray und seiner Frau, des Herrn Bergrat Werner aus Freiberg, der im »Erbprinzen« wohnte, und der Mesdames Riemer und Meyer.
    Sie wußte, welcher von Bosheit, zum mindesten bei den Frauen, wahrscheinlich nicht freien Neugier sie sich darstellte und begegnete ihr mit einer Würde, die ihr schon durch die {381} Notwendigkeit auferlegt war, das durch die Umstände sehr verstärkte Zittern ihres Kopfes im Zaum zu halten. Diese Schwäche, von Allen mit unterschiedlichen Empfindungen bemerkt, kontrastierte sonderbar mit der Mädchenhaftigkeit ihrer Erscheinung in dem weißen, fließenden, aber nur knöchellangen, vor der Brust von einer Agraffe faltig gerafften Kleide mit dem blaßrosa Schleifenbesatz, worin sie auf knappen und schwarzen, gestöckelten Knöpfstiefelchen zierlich und seltsam dastand, das aschgraue Haar gerade über einer klaren Stirn aufgebaut, von Gesicht freilich unrettbar alt, mit schon hängenden Wangen, zwischen denen ein niedlich geformter, etwas verschmitzt lächelnder Mund eingebettet war, einem naiv geröteten Näschen und in sanft-müder Distinktion blikkenden Vergißmeinnicht-Augen … So nahm sie die Präsentation der Mitgeladenen und ihre Versicherungen entgegen, wie entzückt man sei, sie einige Zeit in der Stadt zu haben, und wie geehrt, einem so bedeutsamen, so denkwürdigen Wiedersehen beiwohnen zu dürfen.
    Neben ihr hielt sich, von Zeit zu Zeit im Knix versinkend, ihr kritisches Gewissen, – wenn man Lottchen die Jüngere so nennen darf, – die weitaus Jüngste der kleinen Gesellschaft, die durchweg aus Personen, schon würdig an Jahren, bestand, denn selbst Schriftsteller Schütze war auf Ende vierzig zu schätzen. Die Pflegerin Bruder Carls wirkte recht herb mit ihrem glatt in der Mitte gescheitelten und über die Ohren gezogenen Haar und in ihrem schmucklosen dunkel-lila Kleide, das am Halse mit einer fast predigerhaften gestärkten Rundkrause abgeschlossen war. Sie lächelte abweisend und zog die Brauen zusammen bei den Artigkeiten, die man auch ihr, besonders aber ihrer Mutter sagte, und die sie als herausgeforderte Anzüglichkeiten empfand. Außerdem litt sie, nicht ohne Rückwirkung auf Charlotte, die sich aber dieses Einflusses tapfer erwehrte, unter der jugendlichen Herrichtung der Mutter, die, {382} wenn nicht schon in dem weißen Kleid, das allenfalls als Nuance und Liebhaberei hingehen mochte, so zum mindesten in den vermaledeiten rosa Schleifen bestand. Ihr Inneres war zerrissen von dem Wunsch, die Leute möchten den Sinn dieses unschicklichen Putzes verstehen, damit sie ihn nicht skandalös fänden, und der Angst, sie möchten sie nur um Gottes willen nicht gar verstehen.
    Kurz, Lottchens humorloser Unwille über das Ganze, grenzte an Verzweiflung, und Charlotte war sensitiver und ahnungsvoller Weise gezwungen, ihre Empfindungen zu teilen und hatte keine kleine Mühe, den Glauben an die Vortrefflichkeit ihres wehmütigen Scherzes aufrecht zu halten. Dabei hätte keine Frau viel Grund gehabt, sich aus Eigenwilligkeiten ihrer Toilette in diesem Kreise ein Gewissen zu machen und den Vorwurf der Exzentrizität zu fürchten. Ein Zug zu aesthetischer Freiheit, ja zur Theatralik herrschte durchaus in der Kleidung der Damen, zum Unterschied von dem offiziellen Aeußeren der Herren, die bis auf Schütze sämtlich in ihren Knopflöchern irgendwelche Dienstauszeichnungen, Medaillen, Bänder und Kreuzchen trugen. Nur allenfalls die Hofkammerrätin Kirms machte eine Ausnahme: als Frau eines sehr hohen Beamten hielt sie sich offenbar an strenge Dezenz der Erscheinung gebunden, wobei man von den übergroßen Flügeln ihrer seidenen Haube

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