Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
schon wieder absehen mußte, die bereits ins Phantastische fielen. Madame Riemer aber sowohl – eben jene Waise also, die der Gelehrte aus diesem Hause heimgeführt – wie die Hofrätin Meyer, eine geborene von Koppenfels, zeigten in ihrer Tracht sehr stark die Note des Künstlerischen und Persönlich-Gewagten: jene im Geschmack einer gewissen intellektuellen Düsternis, einen vergilbten Spitzenkragen auf dem schwarzen Sammt ihres Gewandes, das elfenbeinfarbene, habichtartig profilierte und dunkel-geistig blickende Angesicht vom nächtig herabfallenden, weiß durchgezogenen und als gedrehte {383} Locke die Stirn verfinsternden Haare eingefaßt, – diese, die Meyer, mehr als allerdings recht reife Iphigenie stilisiert, einen Halbmond an dem gleich unter dem losen Busen sitzenden Gürtel ihrer am Saume antik bordierten, citronenfarbenen Robe von klassischem Fall, auf die vom Kopfe herab eine Schleierdraperie dunklerer Farbe floß, und zu deren kurzen Aermeln die Meyern modernisierender Weise lange Handschuhe angelegt hatte.
Madame Coudray, die Gattin des Oberbaurats, zeichnete sich außer durch die Bauschigkeit ihres Rockes durch einen breit schattenden und schleierumwundenen Corona Schröter-Hut aus, der ihr, die hintere Krempe in den Rücken gebogen, auf den herabfallenden Ringellocken saß; und selbst Amalie Ridel, etwas entenhaft von Profil, hatte ihrem Ansehen durch komplizierte Aermelkrausen und einen kurzen Schulter-Überwurf von Schwanenpelz einige malerische Seltsamkeit zu geben gewußt. Unter diesen Erscheinungen war Charlotte im Grunde die aller-anspruchsloseste – und dennoch in ihrer betagten Kindlichkeit und ihrer von Kopfwackeln durchbrochenen Würdenhaltung die rührend-auffallendste und merkwürdigste, zum Spott oder zur Nachdenklichkeit auffordernd, – wie das gequälte Lottchen fürchtete: zum Spott. Diese war bitter überzeugt, daß zwischen den Weimarer Damen manch boshafte Verständigung stattfand, als die kleine Gesellschaft sich nach der ersten Vorstellung in einzelne Gruppen über das Zimmer hin aufgelöst hatte.
Den Kestners, Mutter und Tochter, zeigte der Sohn des Hauses das Gemälde über dem Sofa, indem er die grünseidenen Vorhänge, mit denen es zu verhüllen war, besser auseinander zog. Es war eine Copie der sogenannten Aldobrandini'schen Hochzeit; Professor Meyer, erklärte er, hatte sie einst freundschaftlich angefertigt. Da dieser selbst herzutrat, widmete August sich anderen Gästen. Meyer hatte statt des Cylinders, in {384} dem auch er gekommen, ein sammtenes Käppchen aufgesetzt, das zu dem Frack sonderbar häuslich wirkte, sodaß Charlotte unwillkürlich nach seinen Füßen sah, ob sie nicht vielleicht in Filzpantoffeln steckten. Das war nicht der Fall, obgleich der Kunstgelehrte in seinen breiten Stiefeln ganz ähnlich schlurfte, als sei die Vermutung zutreffend gewesen. Die Hände hielt er behaglich auf dem Rücken und den Kopf gelassen zur Seite geneigt, schien überhaupt in seiner Haltung den sorglosen Hausfreund herauszukehren, der auch nervösen Neulingen von seiner Seelenruhe ermutigend mitzuteilen wünscht.
»So sind wir denn vollzählig«, sagte er in seiner bedächtig und gleichmäßig stockenden Redeweise, die er sich von Stäfa am Zürichsee durch viele römische und Weimarer Jahre bewahrt hatte und die von keinerlei Mienenspiel begleitet war, »so sind wir denn vollzählig und dürfen gewärtig sein, daß unser Gastgeber sich ehestens zu uns gesellt. Es ist als nur zu begreiflich zu erachten, wenn erstmaligen Besuchern sich diese letzten Minuten durch eine gewisse Bangigkeit der Erwartung ein wenig dehnen. Gleichwohl sollte es ihnen lieb sein, sich an die Umgebung und ihre Atmosphäre vorderhand einmal gewöhnen zu dürfen. Ich mache es mir gern zur Aufgabe, solche Personen im Voraus ein wenig zu beraten, um ihnen die expérience, die ja immer bedeutend genug bleibt, leichter und erfreulicher zu gestalten.«
Er betonte das französische Wort auf der ersten Silbe und fuhr unbewegten Gesichtes fort:
»Es ist nämlich immer das Beste«, (er sagte »das Beschte«) »wenn man sich von der Spannung, in der man sich unvermeidlich befindet, nichts oder doch möglichst wenig anmerken läßt und ihm in der thunlichsten Unbefangenheit, ohne alle Zeichen von Aufregung entgegentritt. Damit erleichtert man beiden Teilen die Situation sehr wesentlich, dem Meister sowohl wie sich selbst. Bei seiner allempfänglichen Sensibilität {385} teilt sich ihm nämlich die
Weitere Kostenlose Bücher