Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Verehrte Freundin«, sagte er zu Charlotte, »leben Sie wohl! Ich denke, Weimar und Ihre Lieben werden Sie einige Wochen zu fesseln wissen. Zu lange hat das Leben uns auseinander gehalten, als daß ich nicht von ihm fordern müßte, Ihnen während Ihres Aufenthalts wiederholt begegnen zu dürfen. Zu danken ist nichts. Bis dahin, Verehrteste. Adieu, meine Damen! Adieu, meine Herren!« –
August geleitete Ridels und Kestners wieder die schöne Treppe hinab bis unter die Haustür, vor der außer der Ridel'schen Mietskutsche zwei weitere für Coudrays und das Kirms'sche Ehepaar bereit standen. Es regnete jetzt entschieden. Gäste, von denen sie sich schon oben verabschiedet, gingen grüßend an ihnen vorüber.
»Vater war ausnehmend belebt durch Ihre Anwesenheit«, sagte August. »Er schien seinen wehen Arm überhaupt vergessen zu haben.«
»Er war reizend«, erwiderte die Landkammerrätin, und nachdrücklich stimmte ihr Gatte ihr zu. Charlotte sagte:
»Wenn er Schmerzen hatte, so sind sein Geist, seine Rührigkeit desto mehr zu bewundern. Man ist beschämt, es zu denken, und ich mache mir Vorwürfe, mich nach seiner Plage garnicht erkundigt zu haben. Ich hätte ihm von meinem Opodeldok anbieten sollen. Nach einem Wiedersehn, just wenn die Trennung lang war, hat man immer Versäumnisse zu bereuen.«
»Worin die auch immer bestehen mögen«, versetzte August, {427} »sie werden nachzuholen sein, wenn auch nicht sofort; denn allerdings glaube ich, daß der Vater nun etwas wird Ruhe halten und baldige Wiederbegegnungen sich wird versagen müssen. Besonders, wenn er sich bei Hofe entschuldigt, kann er auch an andren Geselligkeiten nicht teilnehmen. Ich möchte das vorsorglich bemerkt haben.«
»Um Gott«, sagten sie, »das versteht sich doch wahrlich von selbst! Unsern Gruß, unsern Dank noch einmal!«
So saßen sie wieder zu viert in ihrer hohen Kalesche und ratterten durch die nassen Straßen nach Hause zurück. Lottchen, die Jüngere, strack auf ihrem Rücksitz, blickte, die Flügel ihres Näschens andauernd gebläht, gerade an dem Ohr ihrer Mutter vorbei in den Fond des Wagens.
»Er ist ein großer und guter Mensch«, sagte Amalie Ridel, und ihr Mann bestätigte: »Das ist er.«
Charlotte dachte oder träumte:
»Er ist groß, und ihr seid gut. Aber ich bin auch gut, so recht von Herzen gut und will es sein. Denn nur gute Menschen wissen die Größe zu schätzen. Die Chinesen, wie sie da hüpfen und zirpen unter ihren Glockendächern, sind alberne, böse Menschen.«
Laut sagte sie zu Dr. Ridel:
»Ich fühle mich sehr, sehr schuldig vor dir, Schwager, daß ich's dir nur ungefragt gleich gestehe. Ich sprach von Versäumnissen, – ich wußte nur zu gut, was ich damit meinte, und fahre recht enttäuscht, recht unzufrieden mit mir selbst wieder heim. Tatsächlich bin ich nicht dazu gekommen, weder bei Tische noch nachher, Goethen von deinen Hoffnungen und Wünschen zu sprechen und ihn, wie ich's bestimmtest vorhatte, ein wenig dafür zu engagieren. Ich weiß nicht, wie es geschehen und unterbleiben konnte, aber es wollte sich die ganze Zeit über nicht fügen und machen. Es ist meine Schuld und auch wieder nicht. Verzeih mir!«
{428} »Das macht nichts«, antwortete Ridel, »liebe Lotte; beunruhige dich nicht! Es war gar so nötig nicht, daß du davon sprachst, sondern durch deine Anwesenheit schon und daß wir den Mittag hatten bei Excellenz, bist du uns nützlich genug gewesen, und irgendwie wird sich's in unserem Interesse schon auswirken.«
{429} Neuntes Kapitel
Charlotte blieb noch bis gegen Mitte Oktober in Weimar und logierte mit Lottchen, ihrem Kinde, die ganze Zeit im Gasthaus zum Elephanten, dessen Inhaberin, Frau Elmenreich, teils aus eigener Klugheit, teils auch von ihrem Factotum, Mager, lebhaft dazu angehalten, ihr mit dem Zimmer-Preise sehr entgegenkam. Wir wissen nicht allzu viel über den Aufenthalt der berühmten Frau in der ebenfalls so berühmten Stadt; er scheint – übrigens ihren Jahren gemäß – den Charakter würdiger Zurückgezogenheit getragen zu haben, aber doch keiner ganz unzugänglichen; denn war er auch hauptsächlich dem Zusammensein mit den lieben Verwandten gewidmet, so hören wir doch von mehreren kleineren und selbst ein paar größeren Einladungen, denen sie in diesen Wochen freundlich beiwohnte, und die sich in verschiedenen gesellschaftlichen Cirkeln der Residenz abspielten. Eine davon gaben, wie es sich gehörte, Ridels selbst, und in ihrem Beamtenkreise trug
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