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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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vortreff {424} lich. Er hätte selbst keinen besseren Titel erdenken können. Dieser sei rein-behaglich und nicht ohne feine Gehobenheit. Er werde dem Verleger zusagen, das Publikum anziehen und, die Hauptsache, er sei dem Buche wie angewachsen. Das müsse so sein. Ein gutes Buch werde gleich zusammen mit seinem Titel geboren, und daß es da gar kein Sorgen und Zweifeln geben könne, sei geradezu der Beweis für seine innere Gesundheit und Rechtschaffenheit. »Entschuldigen Sie mich!« sagte er, da Baurat Coudray sich ihm näherte. Auf Schütze aber, der seine Brille wieder aufsetzte, eilte Dr. Riemer zu, ersichtlich um ihn auszufragen, was Goethe mit ihm gesprochen hätte.
    Ganz gegen Ende der Mittagsgesellschaft kam es noch dazu, daß sich der Hausherr von ungefähr darauf besann, Charlotten die Früh-Konterfeie ihrer Kinder wiedersehen zu lassen, wie er sie einst von dem rüstigen Paar zum Geschenk erhalten hatte. Es geschah, daß er, bei zurückgelassenen Stichen, Münzen und Farbenspielen, die Kestner'schen Damen und Ridels im Zimmer umherführte, um ihnen einzelne Kuriositäten seiner Ausstattung zu zeigen: die Götterbildchen unter Glas, ein altertümliches Schloß mit Schlüssel, das am Fenstergewände hing, einen kleinen goldenen Napoléon mit Hut und Degen, gestellt in das glockenförmig verschlossene Ende einer Barometer-Röhre. Dabei fiel es ihm ein. »Jetzt weiß ich«, rief er und bediente sich plötzlich intimer Anredeform, »was ihr noch sehen müßt, Kinderchen! Das alte Angebinde, die Schattenrisse von euch und eueren rühmlichen Taten! Ihr sollt doch gewahr werden, wie treulich ich sie durch die Jahrzehnte verwahrt und in Ehren gehalten. – August, sei mir so gut, das Mäppche mit den Silhouette!« sagte er stark frankfurterisch; und während man noch den so sonderbar eingesperrten Napoléon betrachtete, schaffte der Kammerrat das Faszikel von irgendwoher herbei und legte es, da auf dem runden Tische kein Platz mehr war, auf den Streicher'schen Flügel, worauf er seinen Vater und dessen Begleiter dorthin bat.
    {425} Goethe zog selbst die Bänder auf und öffnete die Klappen. Der Inhalt war ein vergilbtes und stockfleckiges Durcheinander von bildlichen Dokumenten und Souvenirs, Scherenschnitten, verblaßten Festpoemen in Blumenkränzen und Handzeichnungen von Felsen, Ortschaften, Flußufern und Hirtentypen, wie der Besitzer sie auf verjährten Reisen zur Gedächtnisstütze mit ein paar Strichen aufgenommen. Der alte Herr kannte sich wenig darin aus und konnte das Gesuchte nicht finden. »Das ist doch des Teufels, wo ist denn das Ding!« sagte er ärgerlich werdend, indeß seine Hände die Blätter rascher und nervöser durcheinanderwarfen. Die Umstehenden bedauerten seine Bemühung und gaben immer dringlicher ihre Bereitwilligkeit zum Verzicht zu erkennen. Es sei ja nicht nötig, die bloße Aussicht darauf, das Andenken wiederzusehen, habe es ihnen schon wieder deutlich vor Augen geführt. Im letzten Augenblick entdeckte Charlotte es selbst im Wuste und zog es hervor. »Ich hab's, Excellenz«, sagte sie; »da sind wir.« Und indem er das Papier mit den aufgeklebten Profilen etwas verblüfft, ja ungläubig betrachtete, erwiderte er mit Resten von Aerger in der Stimme: »Wahrhaftig, ja, Ihnen war's vorbehalten, es ausfindig zu machen. Das sind Sie, meine Gute, artig geschnitzt, und der selige Archivsekretär und euere fünf Aeltesten. Das schöne Fräulein hier ist noch nicht dabei. Welche sind's denn, die ich kenne? Diese hier? Ja, ja, aus Kindern werden Leute.«
    Meyer und Riemer, die herantraten, gaben ein diskretes und unanimes Zeichen, indem sie, einer wie der andere, mit zusammengezogenen Brauen die Augen zudrückten und leise nickten. Sie fanden wohl, nach dieser Besichtigung sei es genug, und jedermann gab ihnen recht, wenn sie wünschten, den Meister vor Übermüdung zu schützen. Man schritt zur Verabschiedung; auch diejenigen, die im Urbino-Zimmer geplaudert hatten, fanden sich dazu ein.
    {426} »So wollt ihr mich verlassen, Kinderchen, alle auf einmal?« fragte der Hausherr. »Nun ja, wenn ihr hinausdrängt zu Pflichten und Freuden, kann niemand euch schelten. Adieu, adieu. Unser Bergrat bleibt noch ein wenig bei mir. Nicht wahr, liebster Werner, das ist eine Abmachung. Ich habe hinten bei mir was Interessantes für Sie, das von auswärts hereingekommen, und daran wir alten Auguren uns zur Nachfeier erquicken wollen: Versteinerte Süßwasserschnecken von Libnitz im Elbogner Kreise. –

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