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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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den Beschauern einzuprägen suchte, wieviel Geist und Talent dazu gehöre, solch ein Bild zu entwerfen und so glücklich auszuführen. Auch die Münzensammlung, stückweise in Kästen aus jenem Portrait-Zimmer herbeigetragen, kam zur Betrachtung – sie war, wenn man bei der Sache zu sein vermochte, wirklich zum Erstaunen komplett und reichhaltig: die Münzen aller Päpste seit dem 15 ten Jahrhundert bis auf diesen Tag waren vorhanden, und der Vorzeigende betonte, gewiß mit äußerstem Recht, wie glückliche Einsichten in die Geschichte der Kunst eine solche {422} Überschau gewähre. Er schien alle Graveurs mit Namen zu kennen, gab auch Bescheid über die historischen Anlässe zur Prägung der Medaillen und streute Anekdoten aus dem Leben der Männer ein, auf deren Ehre sie geschlagen worden.
    Die Karlsbader Glasbecher wurden nicht vergessen. Der Hausherr gab Befehl, sie herbeizuholen, und wirklich zeigten sie, vor dem Licht hin und her gewendet, sehr reizvolle Farbverwandlungen von Gelb in Blau und Rot in Grün, – eine Erscheinung, die Goethe an einem kleinen, wenn Charlotte recht verstand, von ihm selbst konstruierten Apparat näher erläuterte, den sein Sohn heranbringen mußte: einem Holzrahmen, in welchem sich über schwarz und weißem Grunde schwachfarbige Glasplättchen hin und her schieben und das Becher-Phänomen experimentell wiedererstehen ließen.
    Zwischendurch, wenn er das Seine getan und die Gäste für eine Weile mit Anschauungsmaterial versehen zu haben glaubte, ging er, die Hände auf dem Rücken, im Zimmer umher, wobei er von Zeit zu Zeit tief Atem holte, – mit einem kleinen, das Ausatmen begleitenden Laut, der den Akt einem Stöhnen nicht unähnlich machte. Auch unterhielt er sich stehend an wechselnden Punkten des Zimmers und im Durchgang zum Kabinett mit unbeschäftigten Gästen, denen die Sammlungen schon bekannt waren. Merkwürdig bis zur Unvergeßlichkeit war es Charlotten, ihn im Gespräch mit Herrn Stephan Schütze, dem Schriftsteller, zu sehen – während sie mit ihrer Schwester über den optischen Apparat gebückt saß und die farbigen Glasplättchen hin und her schob, standen die beiden Herren, der Aeltere und der Jüngere, ganz unfern beisammen, und verstohlen teilte sie ihre Aufmerksamkeit zwischen den Farbeffekten und dieser Szene. Schütze hatte die Brille, die er eigentlich trug, abgenommen, und, sie gewissermaßen verborgen haltend, blickte er mit seinen vortretenden Augen, die an die Stütze der Gläser gewöhnt waren und ohne sie überbemüht, {423} halb blind und blöde schauten, in das gebräunte und muskulöse, aber im Ausdruck schwankende Antlitz vor ihm. Zwischen den beiden Autoren war von einem »Taschenbuch der Liebe und Freundschaft« die Rede, das Schütze seit ein paar Jahren herausgab, und auf das hin der Gastgeber ihn angesprochen hatte. Goethe lobte das Taschenbuch sehr, nannte seine Zusammenstellung geist- und abwechslungsreich und erklärte, die Hände auf dem unteren Rücken zusammengelegt, die Beine gespreizt und mit angezogenem Kinn, daß er regelmäßig viel Unterhaltung und Belehrung davon habe. Er regte an, daß die humoristischen Erzählungen, die Schütze selbst darin veröffentlichte, mit der Zeit gesammelt erscheinen sollten, und dieser gab errötend und stärker glotzend zu, daß er selbst mit diesem Gedanken zu Stunden wohl schon gespielt habe und nur im Zweifel sei, ob eine solche Sammlung denn auch die Mühe lohnen würde. Goethe protestierte mit starkem Kopfschütteln gegen diesen Zweifel, begründete seinen Widerspruch aber nicht mit dem Wert der Erzählungen, sondern auf rein menschliche, sozusagen kanonische Weise: Gesammelt, sagte er, müsse werden; komme die Zeit, der Herbst des Lebens, so müsse die Ernte in die Scheuer kommen, das zerstreut Gewachsene unter Dach und in Sicherheit gebracht sein, sonst scheide man unruhig, und es sei kein rechtes, kein mustergültiges Leben gewesen. Es handle sich nur darum, den rechten Titel für die Sammlung ausfindig zu machen. Und seine nahe beisammen liegenden Augen gingen suchend unter der Zimmerdecke umher – ohne viel Aussicht auf Erfolg, wie die lauschende Charlotte befürchtete, da sie das deutliche Gefühl hatte, daß er die Erzählungen garnicht kenne. Hier nun aber zeigte sich, wieweit Herr Schütze in seinen zögernden Erwägungen immerhin schon gelangt war, denn er hatte einen Sammelnamen bei der Hand: »Heitere Stunden« dachte er gegebenen Falles das Buch zu nennen. Goethe fand das

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