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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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zu mancher Tages- und Nachtstunde brütet man über dem Problema, allein es führt zu nichts und kann zu nichts führen. Große Männer haben an anderes zu denken als an das Eigenleben und -glück der Handlanger, mögen diese sich noch so verdient um sie und ihr Werk gemacht haben. Sie haben offenbar vor allem an sich zu denken, und wenn sie beim Abwägen der Wichtigkeit, die unsere Dienste für sie besitzen, gegen unsere privaten Interessen zugunsten unserer Unabkömmlichkeit, unserer Unentbehrlichkeit für sie und ihr Schaffen entscheiden, so ist das zu ehrenvoll, zu schmeichelhaft für uns, als daß wir nicht gern unseren Willen mit dem ihren vereinigten, uns ihrer Entscheidung mit einer gewissen bitteren und stolzen Freudigkeit unterwürfen. So habe ich mich denn auch veranlaßt gesehen, eine Vokation an die Universität von Rostock, die kürzlich an mich erging, nach reiflicher Überlegung abzulehnen.«
    »Abzulehnen? Warum?«
    »Weil ich in Weimar zu bleiben wünschte.«
    »Aber, Herr Doktor, verzeihen Sie, dann haben Sie sich nicht zu beklagen.«
    »Beklage ich mich denn?« fragte er ebenso überrascht wie früher schon einmal. »Das war im Mindesten meine Absicht nicht, ich muß mich da für mißhört halten. Höchstens sinne ich nach über des Lebens, des Herzens Widerspruch und schätze es, ihn im Gespräch mit einer Frau von Geist zu erörtern. Von Weimar mich trennen? O, nein. Ich liebe es, ich hänge daran, seit dreizehn Jahren bin ich bürgerlich verwachsen mit seinem Gemeinwesen, – als Dreißigjähriger schon kam ich hierher, direkt von Rom, wo ich bei den Kindern des Herrn Gesandten {62} von Humboldt als Hauslehrer fungiert hatte. Seiner Empfehlung verdanke ich meine Niederlassung am Orte. Fehler und Schattenseiten? Weimar hat die Fehler und Schattenseiten des Menschlichen, – kleinstädtischer Menschlichkeit vor allem. Borniert und höfisch verklatscht möchte das Nest wohl sein, dünkelhaft oben und dumpfsinnig unten, und ein rechtlicher Mann hat es schwer hier wie überall – vielleicht noch etwas schwerer als überall; die Schelme und Tagediebe befinden sich wie üblich – und wohl noch etwas entschiedener als üblich – obenauf. Aber darum ist es doch ein wackeres, nahrhaftes Städtchen – ich wüßte längst nicht mehr, wo anders ich leben wollte und könnte. Haben Sie von seinen Merkwürdigkeiten schon etwas gesehen? Das Schloß? Den Exerzierplatz? Unser Komödienhaus? Die schönen Anlagen des Parks? Nun, Sie werden ja sehen. Sie werden finden, daß die Mehrzahl unserer Gassen recht krumm sind. Der Fremde darf bei der Besichtigung nie vergessen, daß unsere Merkwürdigkeiten nicht durch sich selbst merkwürdig sind, sondern darum, weil es die Merkwürdigkeiten Weimars sind. Rein architektonisch genommen, ist es mit dem Schloß nicht weit her, das Theater möchte man sich wohl imposanter vorstellen, wenn man es noch nicht kennt, und der Exerzierplatz ist ohnedies eine Dummheit. An und für sich ist nicht einzusehen, weshalb ein Mann wie ich sich unbedingt sein Leben lang gerade zwischen diesen Kulissen und Versatzstücken bewegen – sich hier so gebunden fühlen sollte, daß er eine Berufung ausschlägt, die mit allen seinen von jungauf genährten Wünschen und Träumen so rein übereinstimmt. Ich komme auf Rostock zurück, weil ich zu beobachten glaubte, daß Sie, Frau Hofrätin, sich von meiner Haltung in dieser Sache befremdet fühlten. Nun denn, ich habe sie unter einem Druck eingenommen – unter dem Druck der Verhältnisse. Die Annahme des Rufes verbot sich mir – ich wähle absichtlich diese unpersönliche Sprachform, denn es gibt Din {63} ge, die niemand einem erst zu verbieten braucht, weil sie sich aus sich selber verbieten, wobei immerhin dies Verbot in einem Blick und einer Miene, an denen man hängt, zum persönlichen Ausdruck kommen können. Nicht jeder, verehrteste Frau, ist dazu geboren, seinen eigenen Weg zu gehen, sein eigenes Leben zu leben, seines eigenen Glückes Schmied zu sein – oder vielmehr: manch einer, der es im Voraus nicht wußte und eigene Pläne und Hoffnungen glaubte hegen und pflegen zu sollen, macht die Erfahrung, daß sein eigenstes Leben und sein persönlichstes Glück eben darin bestehen, daß er auf beides Verzicht leistet, – sie bestehen für ihn paradoxaler Weise in der Selbstentäußerung, im Dienste an einer Sache, die nicht die seine und nicht er selbst ist, es schon darum nicht sein kann, weil diese Sache höchst persönlich, ja

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