Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
eigentlich mehr schon eine Person ist, weshalb denn der Dienst daran auch meist nur recht untergeordneter und mechanischer Natur sein kann, – Eigenschaften, die aber übrigens überwogen und aufgehoben werden durch die außerordentlich hohe Ehre, die vor Mit- und Nachwelt mit dem Dienst an dieser wunderbaren Sache verbunden ist. Durch die gewaltige Ehre. Man könnte sagen, die Mannesehre bestehe darin, daß Einer sein eigenes Leben lebe und seine eigene, noch so bescheidene Sache führe. Aber mich hat das Schicksal gelehrt, daß es eine bittere Ehre gibt und eine süße; und ich habe männlich die bittere gewählt – soweit eben der Mensch wählt, nichtwahr, soweit es nicht das Schicksal ist, das die Wahl für ihn trifft und ihm keine andere läßt. Unbedingt gehört viel Lebenstakt dazu, sich mit solchen Verfügungen des Schicksals einzurichten, mit seinem Lose zu paktieren, sozusagen, und zu einem Kompromiß, wenn ich mich so ausdrücken darf, zwischen der bitteren Ehre und der süßen, auf welche Sehnsucht und Ehrgeiz doch immer gerichtet bleiben, zu gelangen. Es ist die Mannesempfindlichkeit, welche darauf dringt, und sie war es, die zu den Unzuträglichkeiten, den {64} unausbleiblichen Verstimmungen geführt hat, welche meinem langjährigen Aufenthalt in dem Hause meiner ersten Niederlassung ein Ende bereiteten und mich bestimmten, das mittlere Lehramt über mich zu nehmen, zu dem ich niemals Lust gehabt hatte. Da haben Sie das Kompromiß, – das übrigens als solches auch von den Oberen gewürdigt wird, sodaß der griechisch-lateinische Stundenplan, wie gesagt, auf meine auch außer dem Hause fortlaufenden Ehrenpflichten Rücksicht nimmt und mir erlaubt, wenn meine Dienste, wie etwa heute, dort nicht in Anspruch genommen werden, von dem gesellschaftlichen Prärogativ des Morgenschlummers Gebrauch zu machen. Sogar habe ich das Übereinkommen zwischen bitterer und süßer Ehre, die man auch einfach die Mannesehre nennen könnte, noch weiter ausgebaut und befestigt, indem ich einen eigenen Hausstand gründete. Ja, seit zwei Jahren bin ich vermählt. Aber da sehen Sie, Verehrteste, den eigentümlichen und in meinem Fall besonders auffallend sich hervortuenden Kompromiß-Charakter des Lebens! Der nämliche Schritt, der bestimmt war, meiner Eigenständigkeit und männlichen Selbstliebe, der Emanzipation von jenem Hause der bitteren Ehre zu dienen, hat mich mit demselben auch wieder noch näher verbunden, – richtiger gesagt, es ergab sich als selbstverständlich, daß ich mich mit diesem Schritt von gedachtem Hause garnicht entfernte, sodaß also von einem Schritte im eigentlichen Sinn kaum die Rede sein kann. Denn Karoline, meine Gattin – Karoline Ulrich mit ihrem Mädchennamen – ist ein Kind dieses Hauses, eine junge Waise, die vor einigen Jahren als Gesellschafterin und Reisegefährtin der jüngst verblichenen Geheimen Rätin darin aufgenommen wurde. Daß ich es sein möchte, der für ihre eheliche Versorgung aufkäme, stellte sich als der unverkennbare Wunsch des Hauses heraus, und dieser in Blick und Miene zu lesende Wunsch war insofern danach angetan, mit meinem Bedürfnis nach Eigenständigkeit ein Kompromiß {65} zu bilden, als mir die Waise wirklich sympathisch war … Aber Ihre Güte und Geduld, beste Frau Hofrätin, verleiten mich dazu, viel zu viel von mir selbst zu reden …«
»Nicht doch, ich bitte sehr«, erwiderte Charlotte. »Ich höre mit vollem Interesse.«
In Wirklichkeit hörte sie mit gelindem Widerwillen, jedenfalls mit gemischten Gefühlen. Anspruch und Gekränktheit des Mannes, seine Eitelkeit und Ohnmacht, sein hülfloses Ringen nach Würde irritierten sie, flößten ihr Verachtung ein nebst einem ursprünglich nicht freundlichen Mitleid, das aber Mittel und Übergang bildete zu einem Gefühl der Solidarität mit dem Besucher und eine gewisse Befriedigung einschloß: die Empfindung, daß seine Redeweise ihr die Erlaubnis – ganz gleich, ob sie sich herbeilassen würde davon Gebrauch zu machen oder nicht – zu eigener Expektoration und Erleichterung gewähre.
Trotzdem erschrak sie vor der Wendung, die er, gerade als hätte er ihre Gedanken erraten, dem Gespräch mit folgenden Worten zu geben versuchte.
»Nein«, sagte er, »ich mißbrauche die heitere Blockade, die Neugiersbelagerung, deren Opfer wir sind – die Kriegsläufte liegen ja noch nicht so weit zurück, daß wir uns in solche Lage nicht sollten mit Fassung, ja mit Humor zu schicken wissen. Ich will sagen:
Weitere Kostenlose Bücher